roland-exner.de

   Roland Exner

Alte Fetzen

Leserbriefe aus alten Zeiten

 Erinnerungen für mich selber

Seiten

 
 
       .    
2 Zerstörung der Umwelt: Weinen werden sie später 
 
           
3 Korruption: Ein paar Stück Zucker reichen
 
           
4 Kernkraft und Katastrophen
 
           
5 Wettrüsten: Wette auf den Weltuntergang
 
           
6 Wie Politiker Terroristen bekämpfen wollten
 
           
7 Wie Politiker den Kommunismus bekämpfen wollten
 
           
8 Wie Politiker reden...
 
           
9 Der Bürgermeister: Mit Hitler für die Freiheit
 
           
10 Politgeklapper
 
 
11 Schüler: unmündige Kinder?
 
           
12 Prüfungsärger: Da hilft nur  Gewalt?
 
           
13  Nazis: Pizzas im Visier
 
           
14 Verkehrspolitische Ausflüge I            
15 Verkehrspolitische Ausflüge II
 
           
16 Verkehrspolitik: Hier wurde der Rufbus erfunden
 
         
17 Justitia I
 
         
18 Justitia II  - mit Unbehagen          
             
19 Abtreibungen und weniger Babys          
             
             
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Obermain-Tagblatt,  ? Mai 1991

Steinbruch-Gegner kämpfen weiter
LICHTENFELS. Noch keinen Grund zur Resignation sieht die Bürgerinitiative gegen den Steinbruch Röderitz/Hoher Bühl aufgrund der jüngsten Entscheidung des Lichtenfelser Stadtrats, das baurechtliche Einvernehmen zur Errichtung des neuen Steinbruches letztlich doch zu erteilen. Diese Wende-Politik sei zwar ein Schlag ins Gesicht für alle, die seit langem gegen den Steinbruch kämpften und sich diesbezüglich auch auf die konsequente Haltung einer Mehrheit im Lichtenfelser Stadtrat verlassen hätten, - entmutigen lasse man sich deshalb jedoch noch lange nicht. Die Bürgerinitiative gegen den Steinbruch Röderitz/Hoher Bühl lädt daher zu einem Treffen am Donnerstag, 23. Mai, ein. -dk-

 

Der Steinbruch
 
Dort im Berg
schlummert ein Riese;
aus seinem Herzen wachsen Bäume,
auf seinem Kopf blühen Blumen,
in seinen Adern
fließt das reine Wasser.

Er ahnt noch nichts von seinem Tod.

Er weiß noch nicht,
daß Felsen
so leicht zu brechen sind
wie Worte.
Ade, lieber Riese,
die Menschen haben Dich verraten.

Weinen werden sie später.

    Roland Exner

Das Gedicht erschien im Mai oder Juni 1991 im Obermain-Tagblatt,
auch veröffentlicht in WINSENER HEFTE Nr. 17 , ISBN 3-928788-42-6
 


Badische Zeitung, Ausgabe 19. Juli 1975

Rares Grundwasser

Zu „Sorge um die Wasservorräte/Auch Grundwasser wird rar" BZ vom 1. Juli 1975

So rar brauchte das Grundwasser nicht zu werden, wenn Städteplaner und Landschaftsgestalter ihre Arbeit mit etwas mehr Verstand verrichteten: Die Städte werden so ausbetoniert, daß das meiste Regenwasser ziemlich schnell über die Kanalisation abfließt; auch die Flüsse hat man so begradigt und ausgebaut, daß sie möglichst schnell abfließen. Ein schneller Abfluß des Wassers sollte zwar möglich sein, nämlich dann, wenn Hochwasser ist. Bei normalen Verhältnissen hingegen sollte das Wasser weitgehend „aufgehalten" werden, damit möglichst viel dem Grundwasser zugeführt wird. Das ließe sich erreichen, indem man in den Städten den Beton wasserdurchlässig macht (z. B. mittels Abflussrillen und -röhren ins Erdreich) und in den Flüssen ebenfalls Sickerröhren einbaut, die seitwärts in die Erde führen. Ich will die Dreisam stromaufwärts schwimmen, wenn durch derartige Maßnahmen der Grundwasserspiegel nicht wesentlich angehoben werden könnte.         Roland E x n e r, Freiburg


Badische Zeitung / Freiburger Ausgabe vom 23. April 1979

In 186 Jahren die Stunde Null

Zu den Beiträgen: „Minister Eberle zeigt Verständnis für planerische Anliegen Freiburgs" „Gemeinderat einstimmig für Ausnahmeregelung"; „Der Verkehrs- und Bauboom frißt die Landschaft auf""

Geht der Landschaftsverbrauch in Baden-Württemberg weiter wie bisher, dann schlägt in 186 Jahren die Stunde Null: Anno 2165 würden wir die Güter der Natur verzehrt haben. Dann gäbe es nur noch Straßen, Häuser und ein wenig wüstes Land. Zu diesem Ergebnis kam eine Hochrechnung des Statistischen Landesamtes im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums. Wird diese - bewußt etwas dramatisierte - Hochrechnung auf eben dieses Landwirtschaftsministerium Eindruck machen? Wohl kaum. Wirtschaftsminister Eberle hat sich zum Beispiel in der „umstrittenen Frage" der Erweiterungspläne der Firma Gödecke bereits „voll auf die Seite der Stadt und des Regionalverbandes" gestellt, die im Gegensatz zum Regierungspräsidium der Abholzung von 15 Hektar Mooswald-Fläche als Folge der Ausbaupläne zustimmen.(„BZ" vom 11. 4.). Und: „Eberle glaubt, daß auch im Landwirtschaftsministerium noch bestehende Bedenken gegen dieses Vorhaben ausgeräumt werden könnten".

Eberles Glaube ist wohl leider berechtigt - hat doch auch der Freiburger Gemeinderat einstimmig der Ausnahmeregelung für die Firma Gödecke zugestimmt. Argument eines Stadtrates: „Die Welt werde nicht untergehen, wenn das Regierungspräsidium den berechtigten Interessen der Stadt nachgebe" - „BZ" vom 14. 3. Nein, wegen der Erweiterung von Gödecke würde die Welt nicht untergehen, und die Stadträte würden „kein Bauchweh" bekommen. Die Welt wird nur Stück für Stück abgeholzt, trockengelegt, zubetoniert, unwiederbringlich zerstört: Das ökologische Gleichgewicht gerät schon ins Wanken, und wir machen munter weiter. Im fortgeschriebenen Landesentwicklungsplan kann der interessierte Bürger immerhin folgendes lesen: „Wirtschaftliches Wachstum ist notwendig ... aber, es darf nicht zum Wert an sich erhoben werden. Wirtschaftliches Wachstum muß sich auch dem Prinzip der Umweltverträglichkeit und Landschaftsschonung unterordnen". Unterordnen!

Die guten Gründe, die das Regierungspräsidium für den vollständigen Erhalt des nun schon stark angeknabberten Mooswaldes anführt, sollte man sich nochmal anhören! Sind Worte der Politiker nur Schall und Rauch? Dann werden die Verfechter eines anderen politischen und wirtschaftlichen Systems irgendwann die Oberhand gewinnen. Darüber sollte man sich auch in der Wirtschaft Gedanken machen! Ich meine, daß nur strenge Umweltbegrenzungen die Wettbewerbswirtschaft befähigen, mit der Zukunft fertig zu werden. „In den bestehenden Grenzen zu wirtschaften" erfordert vielleicht eine geistige Revolution - ein völliges Umdenken. Das schafft die freie Wirtschaft nur, wenn die politischen Instanzen die Umweltbegrenzungen rechtzeitig und ohne "Ausnahmeregelungen" festlegen. Roland Exner, Freiburg

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Badische Zeitung /FST/ Leserbriefe vom Dienstag, 13. Februar 1979 /Flückigersee

Ein paar Stück Zucker reichen

Zum Bericht Bauausschuß zum Flückigersee: Mehrheit für eine Bebauung Kommentar zu diesem Bericht vom 2. Februar

In Ihrem Kommentar vom 2: Februar stellen Sie - zum wiederholten Male - fest, die Stadt habe sich mit der Entscheidung, das leidige Problem Flückigersee schnell zu lösen, selbst in Zugzwang gesetzt. Zur Verdeutlichung: Weil man 1985 oder 86 auf dem heutigen Flückiger-Gelände eine Landesgartenschau veranstalten will, muß die Stadt angeblich (um das Gelände bis dahin auch zu erhalten) einer dichteren Bebauung zustimmen. Dann würde das Gebiet zu (drastisch verteuertem!) Bauland, und der Eigentümer wäre infolgedessen zum Verkauf bereit.

Abgesehen davon, daß den betroffenen Bürgern dieser vermeintliche Zugzwang schnurzpiepegal ist (vergl. BZ vom 4. Dezember 78: „Was betoniert ist, bleibt. : . wir können warten."), ist auch die beschriebene „Zugzwang-Rechnung" selbst zweifelhaft. Erstens war das bisher geplante Naherholungsgebiet „allseits akzeptierte Geschäftsgrundlage" (Regierungspräsident Person) für die dichte Bebauung der Umgebung (zum Beispiel Idinger Hof), so daß eher ein Zugzwang zum Ausbau des Naherholungsgebietes als ein Zugzwang zum Hotel besteht. Zweitens könnte die Stadt ihrerseits den Eigentümer sehr leicht in Zugzwang setzen - wenn sie nur wollte. Mittel hierzu wären die längst überfälligen Enteignungsverfahren und wasserrechtliche Verfahren, mit denen die Stadt allen Schwierigkeiten zum Trotz politische Entschlossenheit demonstrieren könnte. Zwar könnte „Flückiger" - theoretisch - durch Prozesse noch einmal viel Zeit gewinnen, aber wohl ohne Aussicht auf endgültigen Erfolg. Da sich der Quadratmeterpreis für enteignete Grünflächen innerhalb von 10 Jahren nicht wesentlich ändern dürfte, entfiele das Pokern auf weitere Spekulationsgewinne. Der Landeigentümer würde anfangen zu rechnen: Wieviel bekomme ich heute, wieviel in 10 Jahren? (abzüglich Prozeßkosten). Die Verzinsung wäre kläglich, vielleicht sogar negativ. Ein Unternehmer, der rechnen kann, würde in solcher Situation verkaufen - so schnell er nur könnte. Woanders könnte er das Geld wieder gewinnbringend anlegen.

Freilich - diese Art marktwirtschaftliche Lösung ist hier nicht gefragt. „Flückiger" kann stattdessen die Rechnung mit dem Wirt (der Stadt und der Mehrheit im Gemeinderat) machen. Ein Vertreter der Stadt hat zwar erklärt: „Mir ist von Flückiger keine Pistole auf die Brust gesetzt worden" - was auch richtig sein mag. Wer arbeitet schon mit so rohen Methoden? Reichen nicht ein paar Stück Zucker?

Den betroffenen Bürgern (die erst „Unterwanderer", später vielleicht „Kommunisten" genannt werden) dürfte solche Art „Demokratie" aber bitter schmecken.

Roland E x n e r, Freiburg


Badische Zeitung vom 20. Oktober 1978

Gartenschau '99

Zuschüsse versetzen Landschaften

Zum Beitrag- „Gartenschau Im Seepark", 25.9. -- und diverses

In Ihrem Bericht „Gartenschau im Seepark" schreiben Sie, der Ortsverein Betzenhausen/ Bischofslinde habe in einer Erklärung betont, daß das jahrelange Tauziehen um den Flückiger-Seepark nun endlich beendet werden könne. In der Tat hatte der „Ortsverein" bei dem Tauziehen schon so viele Reibungsverluste erlitten, dass er bald seine Substanz, nämlich das „SPD" verloren hätte: er stand kurz vor der Resignation und Auflösung. Der „Ortsverein" ist nun aber doch ein „SPD-Ortsverein" geblieben! Ob das Aufatmen berechtigt ist, steht: noch dahin: im Westen wird ein Park für 12 Mio. DM gebaut, im Osten muß ein Park der neuen Trasse der B 31 weichen. Da werden Millionen hin- und herinvestiert, und zwar immer so, daß Land und Bund dicke Millionen Zuschuß zahlen. Wahrlich - Zuschüsse können Landschaften versetzen. Wenn es allerdings um ein paar Pfennige für Ausländerkinder geht, da werde keine Berge versetzt, damit Zuschüsse gezahlt werden, da gibt es plötzlich „Kompetenzschwierigkeiten“. Mit solchen Zuständen sollte kein „Ortsverein" (mit welchem Vorzeichen auch immer) zufrieden sein.    Roland Exner, Freiburg

 

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fränkischer Tag, Samstag, 7. Juni 1986

Kernkraft-Ei des Kolumbus?

Seit Tschernobyl ist bei uns immer wieder zu hören: Die deutschen Kernkraftwerke seien die sichersten der Welt, ein Super-GAU sei praktisch unmöglich. Grund zur Sorge bestehe daher nicht. Darf man dies wirklich glauben, da sich doch die Aussagen der Verantwortlichen immer und immer wieder als falsch erwiesen haben, allen voran Innenminister Zimmermann, der in völliger Ahnungslosigkeit zunächst behauptete, bei einem Unfall in einem Kernkraftwerk bestehe allenfalls Gefahr in einem Umkreis von 20 bis höchstens 50 km - und Tschernobyl sei 2000 km entfernt?

Drei Jahre ist es her, daß in der Zeitschrift der deutschen Atomwirtschaft der Reaktor von Tschernobyl als beispielhaft sicher gepriesen wurde (Nr. 12/83, S. 645 ff.). Die „Sicherheit" war hier freilich nur, wie in jedem Kernkraftwerk, eine Hypothese, die auf bestimmten Annahmen der Wissenschaftler beruht. Jedes Kernkraftwerk ist ein Experiment, und nur die Zukunft kann zeigen, ob die Annahmen und Berechnungen stimmen. Heute brüstet sich die Bundesrepublik, mit dem Reaktor von Hamm das Kernkraft-Ei des Kolumbus gefunden zu haben, den inhärent sicheren Reaktor, also einen Reaktor, der so konstruiert sein soll, daß der größtmögliche Unfall nicht bloß sehr unwahrscheinlich, sondern ganz und gar unmöglich ist. Die Kühlung erfolgt mit Helium, das selbst nicht radioaktiv wird. Tritt der schlimmste Fall ein, fällt also die Kühlung aus, so soll bei diesem Reaktor die Kernspaltung von selbst abbrechen, wenn die Betriebstemperatur unkontrolliert ansteigt. Um das ganze ist obendrein eine fünf Meter dicke Spannbeton-Umhüllung gebaut ... Kaum läuft die Propaganda für diesen Reaktor auf Hochtouren, erhebt der liebe Gott den Zeigefinger; es passiert, was nach den Berechnungen gar nicht hätte passieren dürfen: Der Clou des Reaktors, der Graphit-Kugelhaufen, spuckt radioaktiven Staub in die Umwelt. Da gerade die Wolke von Tschernobyl ein Stelldichein gibt, glaubt man, sich verstecken zu können und verschweigt den Vorfall. Erst die alternativen „Panikmacher" vom Öko­Institut Freiburg klären den Störfall auf.

In Hamm arbeiten zweifellos hochqualifizierte Wissenschaftler, aber völlige Sicherheit können auch sie nicht garantieren, denn die Kernspaltung ist nicht bloß ein wissenschaftliches, sondern vor allem ein ethisches Problem. Der SPD-Politiker Engholm hat dies vor kurzem so formuliert: „Wir brauchen Techniken, die Irrtümer und menschliche Fehler zulassen. Die Kernenergie ist es nicht. Eine Technik, die niemals versagt, gibt es nicht, eine Technik, die nicht versagen darf, weil wir die Folgen dann nicht mehr beherrschen können, ist unerträglich und unmenschlich."

Roland Exner, Gartenweg 3, 8620 Lichtenfels


Obermain-Tagblatt vom Freitag, 31. Januar 1986

»Challenger«-Katastrophe

Die Politiker auf der westlichen Erdhalbkugel geben vor, sie glauben an Gott. Wenn dies nicht nur Show ist, wäre es dann auch naheliegend, hin und wieder zu fragen, was Gott wohl zeigen will, wenn er Menschenwerk in einer Katastrophe enden läßt? Mit der Explosion der amerikanischen Raumfähre »Challenger« könnte er zum Beispiel beschlossen haben, den Untergang der Menschheit ein paar Jahre aufzuschieben, vielleicht, um zu sehen, ob der Rüstungswahnsinn weitergeht oder die »Vernunft« noch eine Chance hat.

Wie man hört, diente der Flug der Raumfähre auch der Forschung zur sogenannten Raketenabwehr im Weltraum (SDI), die, so wie der liebe Gott die Menschen kennt, bei »Bedarf« schnell ein Programm zum Aufbau von Angriffsbasen im Weltraum würde. Was aber bedeutet Rüstung im Weltraum?

Raketen, die heute noch »mühsam« von der Ede abheben müssen und etwa eine halbe Stunde Flugzeit haben, würden dann wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen kreisen, von den fast lichtschnellen Laserwaffen ganz zu schweigen. Das Gleichgewicht des Schreckens, das heute noch einigermaßen stabil ist, hinge nur noch am seidenen Faden. Sekunden genügten, um den gegnerischen Kontinent zu vernichten. Die Entscheidung über einen eventuellen Vergeltungsschlag müßte in Bruchteilen einer Sekunde gefällt werden. Da eine solche Aufgabe nur noch an Computer-Systeme übertragen werden könnte, wäre es eine Frage der Zeit, bis irgendein Fehler im System das Ende der Menschheit besiegeln würde.

Die Russen, deren Killersatelliten und erdgebundene Raketenabwehr um Moskau nicht mit SDI zu vergleichen sind, sehen die Konsequenzen der Weltraumrüstung offenbar sehr viel deutlicher als die »fortschritts«besessenen Amerikaner und die amerikagläubigen Deutschen.
Wird der Feuerball am Himmel die Menschen zum Nachdenken bringen? Wenn es einen Gott gibt, dann wollte er es wohl. Aber es scheint, die Katastrophe führt nur zu einer technischen Fehlersuche, zum Tüfteln über eine bessere Technik.

Aber je besser die Technik und je weniger nachgedacht wird, desto größer die Katastrophen.

Roland Exner, Gartenweg 3, Lichtenfels


Badische Zeitung, Ostern 1977

Sie schreiben zum Zusammenstoß zweier Jumbos: „Es kam eigentlich nur alles ein paar Millionen Jahre früher als erwartet." Bleibt die Hoffnung, daß die in vage Zukunftsmillionen Jahre verdrängte Kernkraftwerk-Katastrophe nicht auch „vorzeitig" passiert.

Roland E x n e r, Freiburg

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Frankfurter Allgemeine, 15. 04. 83

Qualitativ immer nachgerüstet

In Ihrem Bericht „Moskau hat einen neuen Marschflugkörper" (F.A.Z. vorn 8. April) heißt es, wenn der neue sowjetische Marschflugkörper „schon voll entwickelt und vor der Serienproduktion wäre, dann bewahrheitete sich, was Parteichef Andropow und .. . Marschall Kulikow behaupteten: daß die Sowjetunion Zug um Zug jeglicher amerikanischer Waffenentwicklung folgen werde". Das liest sich wie eine neue Erkenntnis. Dabei ist es die Entwicklung, die man seit dem Bau der amerikanischen Atom- und Wasserstoffbombe verfolgen kann. Welche der schrecklichen neuen Waffen hatten die Russen eigentlich zuerst? Keine? Dann wäre es doch einmal Zeit zu fragen, von welcher Seite das Wettrüsten ausgeht, wo die Gehirne beheimatet sind, von denen die Vernichtung unserer Welt droht. Offensichtlich sind es regelmäßig die Russen, die - qualitativ - nachrüsten. Natürlich, die Russen haben in Europa ein erdrückendes Übergewicht an Mittelstreckenraketen. Die militärische und politische Lage ist aber augenscheinlich so, daß eine politische Erpressung nicht erfolgen kann. Es gibt jedenfalls nicht die geringsten Anzeichen dafür. Es gibt aber zahlreiche Anzeichen dafür, daß die Flamme durch Aufstellung der Pershing II näher ans Pulverfaß kommen wird: Die Vorwarnzeit würde für die Sowjetunion auf nur noch wenige Minuten sinken, also werden sie alles tun, für Amerika die Lage genauso brenzlig zu machen (vergl. F.A.Z. vom 9. April und vom 19, März). Die Aufstellung der Pershing II wird also nichts bringen außer neuen Gefahren. Der Status quo wäre da schon ein großer Gewinn.             Roland Exner, Lichtenfels

P.S. 2010: Weder damals noch heute war ich "für die Russen" und "gegen die Amerikaner", im Gegenteil. Ich kam aber an den mir selbst gestellten Fragen nicht vorbei
 


Nürnberger Nachrichten, Die freie Meinung, Fr – So 31. Oktober – 2. November 1986

Auf den Fehlschlag von Reykjavik gibt es viele Reaktionen — einige dazu von unseren Lesern. Aber auch der Kanzler wußte dazu beizutragen mit seinem Satz, wie der Nazi Goebbels sei auch Gorbatschow ein Meister der „Public Relations". Daß die Bemerkung auch durch verzweifelte Dementis nicht „nachgebessert" werden konnte, bestätigt das Bürger-Echo.

In Reykjavik hatten die beiden mächtigsten Männer der Welt die Taube in der Hand, und sie haben noch nicht einmal den Spatz mit nach Hause gebracht. Das greifbar nahe Abkommen hätte den totalen Abbau aller Mittelstreckenwaffen in Europa bedeutet — gescheitert an Reagans Traum von einer Strategischen Verteidigungsinitiative im Weltraum. Sind die Hoffnungen, die man in SDI setzen kann, höher zu bewerten als die umfassenden 'Abrüstungsangebote, auf die sich Gorbatschow eingelassen hat? Die Antwort kann nur Nein lauten. In „Spektrum der Wissenschaft" wird auf acht großen Seiten SDI aus wissenschaftlicher Sicht untersucht: „Das Führungs- und Kontrollsystem für eine umfassende Raketenabwehr muß in der Lage sein, die Signale von mehreren tausend Raketenstarts, mehreren zehntausend Nuklearsprengköpfen und gar mehreren hunderttausend Täuschzielen zu empfangen und zu beantworten. Das System muß dies alles innerhalb der halben Stunde leisten, die eine Interkontinentalrakete für den Flug von ... der UdSSR zu den ... USA benötigt.“ Das ist Illusion, und so dürfte die Einschätzung Willy Brandts, die große weltpolitische Abrüstungschance sei an einem „Hirngespinst" gescheitert, zutreffend sein. Irreführend ist auch die Behauptung unseres Verteidigungsministers Wörner, die Sowjetunion arbeite seit langem an „ihrem" SDI. Sie haben ein paar Abwehrraketen um Moskau, Killersatelliten und wohl auch Forschungen mit Laser-Strahlen. An ein „perfektes" Schutzschild im Weltraum hat man da aber wohl nicht gedacht — und wenn doch, dann wäre es um so dringlicher, auf die sowjetischen Vorschläge einzugehen und das Wettrüsten nicht auch noch in den Weltraum auszuweiten.   Roland Exner, Gartenweg 3, 8620 Lichtenfels


Frankfurter Allgemeine, Dienstag, 18. November 1986

Das Scheitern in Reykjavik

Das Sprichwort sagt: Besser ein Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach. In Reykjavik hatten die beiden mächtigsten Männer der Welt die Taube in der Hand, und sie haben noch nicht einmal den Spatz mit nach Hause gebracht. Das greifbar nahe Abkommen hätte unter anderem den totalen Abbau aller Mittelstreckenwaffen in Europa bedeutet. Dieser schöne, fast unglaubliche Traum ist nun wohl trotz der schönfärberischen Nachreden für lange Zeit ausgeträumt. Natürlich haben wieder die Sowjets schuld: In Ihrem Kommentar vom 15. Oktober rätseln Sie darüber, „ob Gorbatschow es mit seinen Angeboten wirklich ernst meinte oder ob er die Gespräche von vornherein zum Scheitern bringen wollte, indem er sowjetische Zugeständnisse von einem Verzicht auf SDI abhängig machte". Ja, sollte denn SDI ursprünglich nicht dazu dienen, die Sowjetunion „weich" zu machen? Gorbatschow hat in der Tat große Zugeständnisse gemacht. Was soll's: Der russische Bär mag sich ruhig die Zähne ausbeißen und die Krallen abwetzen, wir Yankees sind ja doch die Größten. Kaum ist Reagan zurück, verspricht er seinem Volk noch einmal, an SDI werde nicht gerüttelt, und kaum gesagt, explodiert unter der Wüste von Nevada auch schon wieder die nächste Atombombe. Rambo was here, er wird's den bösen Kommunisten schon zeigen. Wann, so fragt man sich, treibt der Ekel der Welt Reagan und seinen Beratern das „Hirngespinst" SDI, wie Willy Brandt es treffend nennt, aus den Köpfen? Vielleicht fehlt es daran, daß zu wenige wissen, was SDI eigentlich ist. Laut Berichterstattung der F.A.Z. weiß man auch in Washington, daß SDI keinen echten Schutz bieten kann. Wenn man also für ein Hirngespinst Abrüstungsverhandlungen zum Scheitern bringt, so liegt der Schluß nahe, daß die Amerikaner mit dem (unvollkommenen) Schild letztlich das Schwert in die Hand nehmen wollen. Das eigentliche Ziel könnten also Angriffswaffen im Weltraum sein. Es würde jedenfalls ins Bild passen, das die Amerikaner der Welt vermitteln: Sie wollen es schaffen, den Gegner totzurüsten... Werden sie nicht gestoppt, ist das Ende vorgezeichnet: Die Sowjets würden gleichziehen und ebenfalls Weltraumwaffen installieren. Damit würde aber das „Gleichgewicht des Schreckens" höchstens labil werden, denn die Vorwarnzeit (Reaktionszeit nach einem Angriff des Gegners) würde nicht mehr etwa eine halbe Stunde betragen, sondern noch noch wenige Minuten, vielleicht sogar Sekunden. Auch dann müßten nur noch Computer die „Entscheidung" über Krieg und Frieden treffen, das heißt ein einziger von zigtausend möglichen Fehlern kann dann den Nuklearkrieg auslösen. Die Angst vor der Weltraumbewaffnung ist nicht die Angst „der Kommunisten", sondern die Angst von Menschen, die zufällig auch im Kreml sitzen.     Roland Exner, Lichtenfels

 

An den SPIEGEL Lichtenfels, den 14. 03. 83 (war lt. SPIEGEL-Redaktion zur Veröffentlichung vorgesehen, dann aber "aus technischen Gründen" zurückgezogen).

Betreff: Wahlsieger, Nr. 10 (?)

Sehr geehrte Redaktion, Brandts Kniefall in Polen: Das war Demut und Vergangenheitsbewältigung. Kohls tiefe Verbeugung vor Reagan: Das ist Unterwerfung. Diese Bücklingsgesinnung kann uns noch teuer zu stehen kommen. Amerika, dem wir so tief gebeugt folgen sollen, wird von vielen Völkern der Welt gehaßt. Der Grund: Die Amis sind unfähig, sich in andere Kulturen und Denkweisen einzufühlen. Die Weltnacht hat es nicht nötig, ihre Vergangenheit zu bewältigend. Man hat die Indianer ausgerottet, und diese Völkermord-Mentalitat beibehalten. Noch heute kann ein Gouverneur der Vereinigten Staaten öffentlich verkünden, die beste Lösung für das Indianer-Problem sei, den Indianern eine Kugel durch den Kopf zu jagen. In Südamerika halten es die Amerikaner offensichtlich auch für die beste Lösung, ganzen Volkern Kugeln durch die Kopfe zu jagen. Man muß schon eine Rothaut oder ein Südamerikaner sein, um Amerika so zu erleben, wie es ist. Wir Europäer haben Glück, wir sind nahe Verwandte. Was mich betrifft: Ich möchte nicht von den Raketen eines Regimes geschützt werden, das Menschenschlächter unterstützt, gegen die die Sowjets nur Waisenknaben sind. Wenn wir die Amis tatsächlich gegen die Russen brauchen, dann bitte mit Abstand, nicht mit ständigen Gedankenspielen an einen Atomkrieg in Europa, nicht mit einem Bundeskanzler, der der den Amis die Stiefel leckt. Mit freundlichen Grüßen Roland Exner

 

Briefdurchschrift – an den SPIEGEL Bezug: „Wechsel in der Grundstrategie der USA“, SPIEGEL Nr. 14 vom 4. April 83

Sehr geehrte Redaktion, der führende, der zu gewinnende und demzufolge unausweichliche neue große Krieg ist in Reagans Umgebung zum Thema eins geworden. Eine Hektik ohnegleichen. Da wundert es niemand mehr, dass auch „ein Wechsel in der Grundstrategie der USA“ wie ein Schuß aus der Hüfte kam. Dabei dürfte klar sein, daß die Russen Super-Laser-Waffen im Weltraum nicht hinnehmen würden: Man könnte damit nämlich nicht nur andere Raketen, sondern auch jeden beliebigen Punkt auf der Erde treffen, Vorwarnzeit gleich Null. Im Moment, da sichtbar wird, dass solche Waffensysteme kommen, wäre eigentlich schon der Casus belli gegeben. Wer noch ein bisschen Vernunft hat, würde alles tun, um solche Entwicklungen zu verhindern. Reagan tut das Gegenteil. Die alten Herren im Kreml sind da vernünftiger, ausgeglichener als der alte Herr in Washington. Sie sehen die Gefahr eines schrecklichen Irrtums; für sie ist ein Atomkrieg nicht gewinnbar. Reagan möchte die Russen „impotent“ machen. Vielleicht fuchtelt er mit Superwaffen so herum, um sich selbst in den Rausch einer Superpotenz zu versetzen. Vielleicht ist es für einen ehemaligen Filmschönling schwerer, im Alter den eigenen Potenzverlust zu ertragen. Dieser alte Mann verhält sich unbewusst so, dass er die ganze Welt mit in sein Grab nehmen kann. Mit freundlichen Grüßen Roland Exner

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Badische Zeitung / Freiburger Zeitung / Leserbriefe, Ausgabe vom 30. Oktober 1978

Terroristenbekämpfung
Nach südamerikanischem Muster

Zum Beitrag: Todenhöfer fordert „ausgebildete Jagdkommandos"

In Ihrer Ausgabe vom 17. Oktober berichten Sie, der entwicklungspolitische Sprecher der CDU/CSU, Todenhöfer, fordere im Namen der CDU/CSU „ausgebildete Jagdkommandos", die „erbarmungslos" Terroristen jagen sollen. An dieser Stelle: vermutlich Beifall des anwesenden Publikums. Vergessen wird, daß es in der Bundesrepublik bereits die schlagkräftige GSG 9 und Zielfahndungskommandos des Bundeskriminalamtes gibt. Was will Todenhöfer also? „Kampf gegen den Terrorismus" nach südamerikanischen Muster? (politisch mißliebige Personen werden von „Jagdkommandos" ermordet) - „im Namen der CDU/CSU" kann Todenhöfer dies eigentlich nicht meinen. Näherliegend: ein Wahl-„Kämpfer gegen den Terrorismus" will wieder mal auf billige Weise Jagdinstinkte und Wählerstimmen locker machen. Wird damit aber nicht eher der vielleicht schlafende NPD-Wähler geweckt? Auch sonst nur Ungereimtes: Todenhöfer behauptet, die Ostverträge hätten nichts geregelt - ob die vielen tausend deutschen Aussiedler, aber auch die Ostreisenden der CDU/CSU es nicht besser wissen müßten? Ein weiteres Beispiel: Todenhöfer fordert "soviel Freiheit wie möglich und sowenig Staat wie nötig", er beklagt die wachsende Bürokratie, durch die der Sozialismus vorwärts schreite.

Nun ja: das christliche Vaterunser kommt mit 66 Wörtern aus (das kann sich die CDU/ CSU zugute halten), die amerikanische Unabhängigkeitserklärung mit 300 Wörtern, die „Verordnung der Europäischen Gemeinschaft über das In-Verkehr-Bringen von Karamelerzeugnissen" benötigt 26 911 Wörter. Machen wir 1000 Gesetze, so folgen im nächsten Jahr 500 Änderungsgesetze usw. Ein Problem, in der Tat. Unter Adenauer, Erhard und Kiesinger war's nicht anders als unter Brandt und Schmidt. Ein Problem des modernen Staates überhaupt, nicht irgendeines „vorwärts schreitenden Sozialismus". Vielleicht meint Todenhöfer auch etwas ganz anderes - etwa die schädliche Überbürokratisierung bei der Handhabung des sogenannten Radikalenerlasses? Da wird ja von der Bürokratie eigenmächtig unser gesamtes Rechtssystem verkehrt: hier muß der Beschuldigte seine Unschuld beweisen - ein Prinzip, das sonst nur Diktaturen - allerdings in ihrem gesamten Rechtssvstem - verwenden. Wer erst einmal beschuldigt wird, kann kaum „alle Zweifel" an seiner Verfassungstreue ausräumen. Wer garantiert, daß solche Praxis nur gegen „Kommunisten" angewendet wird? Die ersten „Ausweitungen" des Erlasses auf „Nichtkommunisten" haben - folgerichtig - inzwischen Weltruhm erlangt, das deutsche Wort „Berufsverbot" international bekannt gemacht. Doch auch hier - Fehlanzeige.

Todenhöfer haut vielmehr in die alte Kerbe. Welche „Bürokratisierung" könnte noch gemeint sein? Die wundersame Vermehrung der Minister - und anderer Ämter in Stuttgart? Und? Und? Und? Die Antworten liegen nicht auf der Hand: zurück bleibt viel Nebel, politischer Dunst - und der Eindruck, daß Politik eben doch ein schmutziges Geschäft ist. Oder bleibt noch Hoffnung, daß die nun versachlichte politische Atmosphäre im Stuttgarter Landtag auch „aufs Land" übergreift?  Roland Exner, Gartenweg 3 Lichtenfels


P.S.: Etwa 37 Jahre später. Am 17. November 2015, nach den Terroranschlägen in Paris: Todenhöfer wird bei einer TV-Gesprächsrunde zugeschaltet, es geht wieder um Terrorismus - und er sagt ganz vernünftige Dinge. Zum Beispiel, dass die Bombenangriffe "gegen die Terroristen" meist zivile Opfer fordern, man "erzeugt" damit immer wieder neue Terroristen... Das haben wir damals schon gewusst, vor Jahrzehnten. Es ist eine einfache Logik, aber sie kommt bei den Politikern nicht an. In einer eroberten Stadt - Todenhöfer verwies hier auf Al Rakka - wohnen die Terroristen nicht in einer Kaserne, sondern über die Stadt verstreut. Bei Bombenangriffen sterben da meist nur Zivilisten. Was man, so Todenhöfer bombardieren sollte, seien die Ölförderanlagen, Raffinerien, Transportmittel usw. - um den Terroristen die finanzielle Basis zu entziehen. Das tue man aber nicht - man macht lieber Geschäfte mit diesen Terroristen... Wie sagte Lenin einst? Die Kapitalisten verkaufen uns die Stricke, mit denen wir sie dann aufhängen können...

Zwei Tage später, 19. November: heute lese ich, dass Öltanks usw. des IS von russischen Kampfflugzeugen bombardiert werden...

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Berufsverbote aus politischen Gründen 

Donnerstag, 23. November 1978 / Nr. 270 Freiburger Zeitung / Leserbriefe (Badische Zeitung, Regionalteil)

Der Fall Faller

Wenigstens als Lehrer im Angestelltenverhältnis

Zu unseren Berichten „Der Ministerpräsident soll jetzt persönlich eingreifen" vom 13. November und „Kein Verständnis für SPD-Erklärung" vom 14. November.

Das „Befremden" des CDU-Vorsitzenden Ramminger über den offenen Brief des SPD-Vorsitzenden Erler an Ministerpräsident Späth muß bei informierten Mitbürgern ebenfalls Befremden hervorrufen. Für den SPD-Kreisvorsitzenden Gernot Erler sind wie für alle Sozialdemokraten Kommunisten politische Gegner, und es besteht keine Veranlassung, einen DKP-Mann als Lehrer und Erzieher unserer Kinder zu „empfehlen", was Gernot Erler auch mit keinem Wort getan hat. Die bisher im Falle Faller befaßten Gerichte hatten darüber zu befinden, ob ein kommunistischer Lehrer als Beamter einzustellen ist, der sich zwar zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt, sich aber außerdienstlich für die Ziele der DKP einsetzt. Die Gerichte haben es abgelehnt, einen Mann, der unseren Staat grundsätzlich verändern will, als „Staatsdiener" (= Beamter) einzustellen. Gegen diese Gerichtsentscheidungen hat Gernot Erler sich in keiner Weise gewandt. Herr Ramminger behauptete aber, Gernot Erler würde diese höchstrichterlichen, letztinstanzlichen Urteile nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Die Wahrheit ist, daß Herr Faller, wie ihm von der Schulaufsichtsbehörde ausdrücklich bestätigt wurde, ein hervorragender Lehrer ist, der sich im Beruf jeglicher politischen Äußerung enthält, also keineswegs die ihm bislang anvertrauten Sonderschüler in kommunistischer Weise beeinflußt. Auf diesem Hintergrund haben sich die betroffenen Eltern in einer Petition an den Landtag dafür eingesetzt, daß Herr Faller ihren Kindern wenigstens als Lehrer im Angestelltenverhältnis erhalten bleibt.    Anna Christin Ludwig, Erika Bettmann, Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen

 

„Wir wollen sie nicht!"
Es hat nach dem Krieg viel Kraft und viele Opfer gekostet, unseren freiheitlich-demokratischen Staat, wie er heute existiert, aufzubauen. Jetzt liest man in der Zeitung, die SPD macht sich stark für die Wiedereinstellung eines DKP-Lehrers, Mitglied einer Partei, die eindeutig systemverändernde Ziele verfolgt, die alles in Frage stellt, was Freiheit, Demokratie und Ordnung betreffen. Als Eltern hat man da ein sehr ungutes Gefühl und fragt sich: was soll das? Stellt sich die SPD auf eine Stufe mit der KPD? Es gibt genügend Lehrer, für die die Erziehung unserer Kinder im Geiste unserer freiheitlichen Grundordnung ein echter Auftrag ist, denen gehört unsere gąnze Unterstützung! Auf Lehrer aus dem Lager der KPD können wir verzichten: wir wollen sie nicht! Uta Stoelcker, Freiburg

 

Mehr als bedenklich Ich stimme Herrn Erler von der SPD zu, wenn er feststellt, daß der Streitfall Faller Begleiterscheinungen zeigt, die dem Kern der Sache an Bedenklichkeit in nichts nachsteht. Bedenklich ist für mich, daß richterliche Entscheidungen nicht mehr anerkannt werden sollen. Bedenklich ist für mich, daß Herr Erler als Vorsitzender der SPD einen offenen Brief an den Ministerpräsidenten unseres Landes schreibt und darin Einflußnahme auf freie unabhängige Entscheidungen des Petitionsausschusses fordert. Bedenklich ist für mich, daß Herr Erler unmißverständlich dafür eintritt, daß ein eingeschriebenes Mitglied der DKP — das nicht bereit ist sich von der Zielsetzung dieser Partei zu distanzieren — weiterhin ein Lehramt ausüben soll. Mehr als bedenklich ist für mich aber die Tatsache, daß Herr Erler die Folgen einer derartigen Entscheidung nicht erkennt oder nicht erkennen will. Eugen Leimgruber, Freiburg

So macht man es sich zu einfach
Bei dem zur Affäre gewachsenen Fall sollte zwischenzeitlich einmal gefragt werden, was denn überhaupt ein „Kommunist" ist. Jene, die in der DDR die Macht haben: die eine blutige Grenze durch Deutschland ziehen und ein ganzes Volk einsperren? Oder jene, die sich ebenfalls „Kommunisten" nennen, die aber, neben vielen anderen, in der DDR, Sowjetunion, CSSR usw. die Gefängnisse füllen? (Wir nennen sie nicht „Kommunisten", sondern — verschämt — „Dissidenten"). Stalin war "Kommunist": Er begründete eine der grausamsten und blutigsten Diktaturen dieser Erde. Dubcek war „Kommunist": Held des „Prager Frühlings", im Westen gefeiert. Hätte Dubcek, der Mann der Freiheit, bei uns „Berufsverbot"? Ohne Zweifel, denn er ist ja „Kommunist"! Faller ist auch „Kommunist". Ist er ein Wolf im Schafspelz? Vielleicht - aber diese Frage stellt sich auch bei jedem anderen, ob er sich nun „Demokrat" oder „Christ" nennt. Wer da pauschal behauptet, jeder „Kommunist" sei ein Feind der Demokratie, der macht es sich zu einfach. Er verfolgt „im Zweifel" die Gesinnung von Andersdenkenden — und er handelt, wenn auch (zunächst) in milderer Form — im Prinzip so wie der gefürchtete kommunistische Staat sowjetischer Prägung. Die Freiburger SPD hat dieses Problem erkannt — ihr nun eine Art „Volksfrontdenken" zu unterstellen, ist nicht fair. Als ob Sozialdemokraten nicht wüßten, was der „starke Staat" (mit kommunistischen oder sonstigen Vorzeichen) bedeuten kann! Außerdem: Muß die SPD um eine DKP buhlen, die 1 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereint? Gefährlich auch, das höchstrichterliche Faller-Urteil in dieser Weise politisch auszuschlachten. Eine rechtmäßige Kündigung ist ja kein Strafurteil — eben kein Berufsverbot: sie bedeutet nicht das Verbot einer erneuten Einstellung. Würde Faller wieder Lehrer, so wäre dies auch Rechtens. Nur kann Faller wohl nicht so leicht die „Firma" wechseln, und die Kündigung (das sogenannte Berufsverbot) wird tatsächlich ein Berufsverbot. Es wird nun wirklich Zeit, den Fall zu lösen. Die harten Fronten müßten doch durch einen Kompromiß aufzulösen sein. Gibt es keine Möglichkeit, einen Arbeitsvertrag zu schließen, der eine spätere Kündigung immer noch zulassen würde? Roland Exner, Freiburg

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Obermain Tagblatt vom 26. November 1986

Das lange Warten auf das Thema
Gedanken eines Lesers zum Besuch von Carl Dieter Spranger in Lichtenfels

Mit dem Thema »Innere Sicherheit« hatte es die CSU geschafft, mich hinter dem Ofen hervorzulocken. Ich sehe die Leute im Schützenhaus an und weiß, hier wird es keine kontroversen Diskussionen geben, und dieser Eindruck verstärkt sich, je mehr Leute den Saal füllen. Aber da erscheint einer mit streitbarer Barttracht, und noch zwei, drei andere, die aussehen, als würden sie nicht bloß zuhören und klatschen.

Referent ist Carl Dieter Spranger, immerhin parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, ein Mann also, der aus dem politischen Machtzentrum der Republik in die Provinz kommt. Daß er den Saal schließlich betritt, merke ich am Beifall der Leute. Aber es ist eine ganze Traube von Lokalprominenz mit dabei, und ich muß, mit wenigen Ausnahmen, mühsam herausfinden, wer wer ist. Spranger erkenne ich zunächst einmal daran, daß er im Mittelpunkt der Traube geht. Außerdem hat er den geradlinigsten Scheitel und den grauesten Anzug. Je höher die politische Prominenz, desto grauer der Anzug. Die größte Mühe bereitet mir Lorenz Niegel, weil von ihm ein großes Wahlplakat im Saale hängt. Auf dem Plakat sieht er jung und sportlich aus, da spannt sich noch die Haut über die Backenknochen. In Wirklichkeit ist das Gesicht recht rund, die Figur insgesamt eher korpulent.

Positiv vermerke ich, daß die Begrüßungsreden von Niegel und Grossmann kurz sind. Ich weiß allerdings nicht, ob ich meinen Ohren trauen darf, als ich aus Niegels Mund vernehme: »Wir sind alle Bürger des Reiches in den Grenzen von 1937«. Nun weiß ich, der in Bunzlau/Schlesien geboren wurde, warum ich kein Asylant bin. Aber ich bin nicht vollkommen sicher, ob ich richtig gehört habe.

Dann beginnt Sprangers Referat und für mich das lange Warten auf das Thema »Innere Sicherheit«. Da wird erst einmal auf die Sozis gedroschen, erst recht auf die Grünen, und als dann noch die »Nadelstreifenproletarier« von der Neuen Heimat an die Reihe kommen, da wackeln die Wände. Was dies mit der »Inneren Sicherheit« zu tun hat? Ach ja, die Rot-Grünen sind natürlich ein Unsicherheitsfaktor. Da ist zum Beispiel der SPD-Ministerpräsident des Saarlands, Lafontaine, der den Extremistenerlaß für den öffentlichen Dienst mit dem Argument abgeschafft hatte, der Staat könne 20 Kommunisten als Lehrer eher verkraften als 200.000 verunsicherte Junglehrer. Sprangers Trumpf sticht noch höher: Er hält 500.000 Eltern darüber, die von den 20 Kommunisten verunsichert würden.

Thema Sicherheit, ach ja: Spranger fühlt sich bei den amerikanischen Freunden sicherer als bei den sowjetischen Panzern, Russen könne man nicht trauen, schon wegen Afghanistan nicht. Vietnam hat's nie gegeben.

Dann wird Spranger noch einmal speziell, er hat das eigentliche Thema doch nicht ganz aus den Augen verloren. Er ist natürlich für ein Vermummungsverbot, aber vor allem: für ein Lob der Polizei. Für Gewalttaten sind nach Spranger nur die Chaoten verantwortlich, die staatlichen Übergriffe sind durch üble Tricks linker Berichterstatter in die Fernsehbilder hineinmanipuliert, niemals hat die Polizei unschuldige Demonstranten überfallen, immer hat sie sich nur gegen Gewalttäter gewehrt ...

Und ich hatte geglaubt, man würde hier vielleicht auch über die Ursachen des Terrorismus reden. Vor mir liegt noch ein Zettel mit einer Notiz aus den Tageszeitungen vorn 12. September: Mdl Walter Grossmann hatte auf einer Zusammenkunft der CSU-Ortsvorstandschaft erklärt: » ... angesichts der abscheulichen Verbrechen kaltblütiger Terroristen dürften die Amerikaner und Israelis mit dem vollen Verständnis ihrer Partner rechnen, wenn sie auch mal zurückschlügen ... «

Ich hätte gern gesagt, wer Bombenangriffe auf Unschuldige rechtfertigt, ist selbst ein Terrorist. Und er fördert den Terrorismus: Denn wer will den Überlebenden solcher Terrorangriffe verdenken, daß sie ihren Schmerz nur durch Rache bändigen können?

Ich hatte gehofft - nicht abwegig bei einer christlichen Partei - im Zusammenhang mit dem Thema »Innere Sicherheit« das Wort »Liebe« zu vernehmen. Aber die Christlich-Sozialen scheinen mit der Liebe so umzugehen wie die Bosse der Neuen Heimat mit dem Gemeinwohl.
Roland Exner, Gartenweg 3 Lichtenfels

 

 

Mir machen Politik mit dem Kopf ... « und nicht mit dem Bauch«

Zum Erscheinungsbild eines Politikers

L i c h t e n f e l s . Zum Leserbrief von Roland Exner im OT vom 26. 11.

Die politische Landschaft bringt immer wieder neue Verhaltenswesen hervor. Eine davon ist es, zu einer Veranstaltung einer anderen Partei zu gehen, sich dort nicht zu Wort zu melden, jedoch anschließend in einem Leserbrief darüber zu klagen, daß keine kontroverse Diskussion stattfand.

Warum haben die bei der Veranstaltung mit Staatssekretär Spranger anwesenden Grünen nicht dort des Wort ergriffen? Vielleicht hätte es nicht in das rot-grüne Bild gepaßt, wenn sich herausgestellt hätte, daß man auf einer CSU-Veranstaltung auch diskutieren kann?

Der Leserbrief sei im übrigen zur aufmerksamen Lektüre empfohlen. Seine Ausführungen zu Afghanistan und Vietnam, ebenso wie die nachfolgenden zum Demonstrationsstrafrecht zeigen die Verkennung von Ursache und Wirkungen: Der kommunistische Expansionismus, fußend auf einer aggressiven Ideologie, war ebenso die Ursache des Vietnamkrieges wie er die der brutalen Unterdrückung des afghanischen Volkes ist.

Daß gewalttätige Kader heute versuchen jede größere Demonstration entweder von vornherein für ihre Zwecke zu benutzen oder umzufunktionieren und sie letztlich die Urheber der dann entstehenden Krawalle sind und keineswegs die Polizei, ist eine Tatsache. Wenn die CSU versucht, dafür zu sorgen, daß Gewalttäter auch im Rahmen von Demonstrationen ergriffen und bestraft werden können, kann dies jeder rechtstreue Staatsbürger nur begrüßen. Diese Gewalttäter sind doch Feinde nicht nur der Polizei sondern eben auch gerade aller friedlichen Demonstranten. Indem sie Demonstrationen in gewalttätigen Auseinandersetzungen enden lassen, diskreditieren sie auch die Anliegen derer, die friedlich demonstrieren wollten. Gleichzeitig versuchen sie, zum Teil mit Erfolg, diese und die Polizei gegeneinander aufzubringen. Niemand sollte sich vor diesen Karren spannen lassen. Die friedlichen Demonstranten müssen sich deswegen eindeutig von Gewalttätern distanzieren. Das heißt aber auch, auch wer politisch anderer Ansicht ist als die CSU, müßte ihre Bestrebungen, Gewalttäter bei Demonstrationen isolieren und ergreifen zu können, begrüßen.

Wer anders argumentiert, muß sich die Vermutung gefallen lassen, eben doch »klammheimliche Freude« zu empfinden, wenn andere für das vermeintlich gleiche Ziel wie er, Gewalt verüben. Dann aber muß er sich auch sagen lassen, daß er die politische Kultur und die Fundamente unseres staatlichen Zusammenlebens angreift und sich selbst ins Abseits stellt.

Der Leserbriefschreiber meint schließlich, sich zum Erscheinungsbild eines Politikers äußern zu müssen. Diese neben der Sache liegenden Ausführungen geben mir aber Gelegenheit, etwas Aufklärung zu betreiben: In der CSU machen wir Politik seit jeher mit dem Kopf und nicht mit dem Bauch. Ein solcher, wenn er denn bei irgend jemandem vorhanden sein sollte, stört uns daher nicht im geringsten.«
Dr. Zettel, Schwabenstr. 9, Lichtenfels

 

Anmerkung, fast 18 Jahre später: Siehe auch unter: "Das bleierne Schweigen einer Stadt":

Richter Dr. Zettel meint, wer "anders argumentiert", greift die Fundamente unseres staatlichen Zusammenlebens an, das muss man wohl nicht weiter kommentieren!

Allerdings nahm ich den Herrn Zettel dann doch beim Wort. Als ich wirklich mal kontrovers diskutieren wollte, erhielt ich für den Veranstaltungsort von der CSU Hausverbot, und der Herr Richter Dr. Zettel war dabei. Die CSU hatte den damaligen „Ärztepräsident“ Dr. Sewering nach Lichtenfels eingeladen. Ich verteilte Flugblätter, in denen ich mich auf einen Artikel des SPIEGEL Nr. 21 von 1978 bezog. Danach hatte der ehemalige SS-Mann und Arzt Sewering seinerzeit Patientinnen in die „Heil- und Pflege“anstalt Eglfing-Haar überwiesen, was in der Nazi-Zeit praktisch einem Todesurteil gleichkam. Während der - für mich also nicht zugänglichen - Veranstaltung nahm Sewering zu den Flugblättern „freimütig“ Stellung. Obermain-Tagblatt vom 25. Juli 1988: Die Vorwürfe seien vom erzbischöflichen Ordinariat Bamberg „eindeutig“ widerlegt worden... Ich hätte bei dieser Veranstaltung gern nachgefragt: Wie denn die Vorwürfe widerlegt worden seien, immerhin hatte Dr. Sewering die tödlichen Überweisungen seinerzeit unterschrieben. Das erzbischöfliche Ordinariat Bamberg wusste auch keine Antwort, ich fragte damals telefonisch und schriftlich nach. Aber so wird klargestellt, wer die Fundamente unseres staatlichen Zusammenlebens angreift, und wer sie garantiert.

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Fränkischer Tag vom 22.11.85

Wer waren denn die Angreifer?

Bürgermeister Dr. Günther Hauptmann hat am Vorabend des Volkstrauertages am Lichtenfelser Kriegerdenkmal unter anderem erklärt: „Ich habe mir oft überlegt, was unsere Motive waren. Wofür hatten wir gekämpft, wir, die wir damals als blutjunge Menschen hineingeworfen worden sind in dieses Inferno der Vernichtung. Wir haben nicht für ein politisches System gekämpft, wir wollten unser Vaterland schützen vor Angreifern und denen, die uns besiegen und uns die Freiheit nehmen wollten .“ Man sollte sich genau ansehen, was der Bürgermeister der Kreisstadt da von sich gibt. Er hat sich oft überlegt, was damals die Motive waren. Damals kannte er seine Motive selber nicht. Verblendet, verführt, hat er wie Millionen andere die Waffe erhoben, berauscht von einer Propaganda, die andere zu „Untermenschen" erklärte.. Aus diesem traurigen Tatbestand wären am Volkstrauertag Lehren zu ziehen. Das tut der Bürgermeister auch: Man müsse für Frieden und Völker-Verständigung eintreten. Aber diese Lehre steht auf sehr wackligem Fundament, nämlich auf Geschichtsfälschung. Sicherlich ist es richtig, daß gegen Ende des Krieges der deutsche Soldat mehr oder weniger ums blanke Überbeben kämpfen mußte, aber daß es dabei um eine Freiheit im politischen Sinne ginge, das konnte damals und kann erst recht heute doch nur glauben, wer ständig vor der Wirklichkeit davonrennt.         Roland Exner Gartenweg 3, Lichtenfels

P.S. Im Jahr 2017:
Ich würde heute nicht mehr den ganzen Text unterschrieben.  ... berauscht von einer Propaganda, die andere zu „Untermenschen" erklärte... Das war sicher oft der Fall, aber wer sich der "Wehr"-Pflicht entziehen wollte, wurde schwer bestraft. Eine pauschale Verurteilung der Soldaten wäre schon aus diesem Grunde ungerechtfertigt. Aber "Freiheitskampf"...

 


Neue Presse Coburg vom 5. Mai 1985
 

„Pąpiertiger haben Konjunktur”

Das Bonner Theater hat nach dem letzten Spektakel Bitburg eine kleine Pause eingelegt. Zwischendurch treten nun Schauspieler aus der Provinz auf die Bühne, um mal zu zeigen, daß sie auch unfreiwillig-komisch sein können. Heißt es doch tatsächlich über unseren Abgeordneten Lorenz Niegel in einer Anzeige der CSU vom 11. Mai, er sei ein Abgeordneter, der „das Vordringen des Kommunismus in der Luft, auf dem Wasser und zu Lande mit Leibeskräften bekämpft". Ja, hat man je einen solchen Kämpfer gegen den Kommunismus gesehen? Einer, der Panzerketten mit bloßen Händen zerreißt, der mit russischen U-Booten Wasserball spielt, der die SS-20-Raketen mit den Händen auffängt und zum Feind zurückschleudert. Man weiß wohl, daß solche Supermänner nur auf dem Papier existieren, aber bei anspruchslosen Lesern Erfolg haben. Papiertiger haben Konjunktur! Niegel ist der Mann, der für eine anspruchslose Politik Ansprüche anmeldet, Frechheit siegt! Was hat er in den vielen hochbezahlten Jahren eigentlich geleistet? 1976 gegen das Mitbestimmungsgesetz gestimmt, hat er, jawohl! Und 1976 gegen das zweite Wohnraumkündigungsschutzgesetz, jawohl! In der Landwirtschaftspolitik konnte er sich nicht voll entfalten, obwohl er doch einmal Bester im Pferdepflügen und ein andermal Bester beim Wettmelken war. Man hätte ihn zum Landwirtschaftsminister machen sollen, um das Kabarett in Bonn vollzumachen. Dann hätten wir heute nicht bloß eine schlechte Landwirtschaftspolitik, nicht bloß was zum Weinen, sondern auch was zum Lachen. Einen Höhepunkt hatte Lorenz Niegel bereits im Jahr 1970. Da drängte er die damalige sozialliberale Koalition in die Enge, weil sich der Ehmke eine zerrissene Hose aus der Staatskasse hatte ersetzen lassen. Damit wird auch klar, warum sich CSU-Bürgermeister in der Provinz 50 000 DM für einen Dienstwagen im Haushaltsplan genehmigen lassen: Solche Dienstwagen sind bestimmt gut gepolstert, haben keine scharfen Kanten und schonen die Hosen. Je teurer der Dienstwagen, desto länger halten die Hosen. Die Schmach zerrissener Beinkleider tragen wohl nur die Sozis. Und was leistet Niegel heute? Er will noch mehr Straßen, vielleicht, weil's um Bonn herum so schön ist. Vor allem aber ist Niegel dagegen, daß nachgedacht wird, zum Beispiel über den 40. Jahrestag der Kapitulation. Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat in seiner Gedenkrede unter anderem gesagt: „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, der wird am Ende blind für die Gegenwart." Treffender kann man Politiker wie Niegel nicht kennzeichnen.

Roland Exner Gartenweg 3 Lichtenfels

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Badische Zeitung vom 21. Februar 1978

Rosenmontag

Hexengeklapper

Zu den Beiträgen „Todfahrt auf der Motorhaube". 6. 2. 1978, „Alkoholfahrt brachte Tod", 6. 2. 1978, „Schwer verletzt", 5. 1. 1978, „Unfallreicher Samstag", 7. 2. 1978

Der Zusammenhang zwischen Feiern, Alkohol, Autofahren und Unfalltod ist nun zwar schon viele Jahre bekannt, dessen ungeachtet wohl aber noch nicht ins tiefere Bewußtsein (insbesondere der Autofahrer) eingedrungen. Hierbei könnte die alkoholträchtige Faschingszeit selbst etwas helfen.
Ich schlage vor, beim nächsten Rosenmontag-Umzug den Sensenmann als Autofahrer mit Schnapspulle, im demolierten Auto und mit bandagierten und eingesargten Opfern im Gefolge auftreten zu lassen. Der alkoholgeschwängerte Autofahrer war nun allerdings nicht der einzige (böse) Geist, den ich vermißte. Wo waren die Hexenbesen, die den Mist der wiehernden Amtsschimmel wegfegten? Wo die Verkehrsplaner, die mit Riesenmäulern die Umwelt auffressen? Wo die modernen Inquisatoren, die kleinkarierte Berufsverbote verhängen? Wo waren Kirchenfürsten und Stadtväter, die sich rühmen könnten: „Wir haben ein Theaterstück verboten!"? Die neuzeitlichen Geister blieben stumm. Geboten wurde fast nur (heute inhaltsleeres) mittelalterliches Hexengeklapper. Ob hier zwischen Veranstaltern und Landes- bzw. Stadtregierung auch ein „übliches Gespräch", ohne Druck versteht sich, stattgefunden hat?
 Roland E x n e r, Freiburg

Badische Zeitung vom 10./11. Mai 1980

Frage an Radio Eriwan

Die offiziöse Moskauer Nachrichten-Agentur „Nowosti" hat das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland als mögliche „Zielscheibe" für einen östlichen (vermutlich atomaren) Gegenschlag bezeichnet .
Einen Tag später. Moskau erklärt, es handle sich hierbei nicht um eine Aussage der sowjetischen Regierung, sondern nur um die Meinung des Leiters der genannten Nachrichten-Agentur.

Frage an Radio Eriwan: Ist in der Sowjetunion nun die Meinungsvielfalt ausgebrochen?
Antwort: Keineswegs. Wir schlagen nur mit den gleichen Methoden zurück, mit denen uns die Kapitalisten dauernd verunsichern.
  Roland Exner, Freiburg

Schwarzer Filz Badische Zeitung vom ? 1980

Die Stuttgarter Landesregierung hat nun ihren Lehrern offiziell die Erlaubnis erteilt, ihre politische Meinung (z. B. durch Anstecknadeln) auch in der Schule kundzutun.

Frage an Radio Stuttgart: Wie konnte sich eine CDU-Landesregierung zu einer solchen Toleranz durchringen?
Antwort: Ganz einfach. Den CDU-Rektoren wird es somit leichter gemacht, die roten "Läuse" im schwarzen Filz zu entdecken.       
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Wochenbericht Nr. 22 (in der Badischen Zeitung?), 29. Mai 1980. Auch in der Freiburger Zeitung, Regionalteil der Badischen Zeitung, FST 23, 30. Mai 1980 -


Unmündige Kinder mißbraucht
Stellungnahme der Direktoren Die Direktoren der Freiburger beruflichen Schulen geben zu dem am 9. 5. 80 stattgefundenen Schülerstreik folgende Erklärung ab:

1. Das der Demonstration zugrundeliegende Anliegen ist eine Sorge aller Bürger, nicht nur der Schüler. 2. Wir sind aber als Bürger unseres Rechts Staates sehr besorgt, weil Schüler offensichtlich glauben, mit illegalen Mitteln (Unterrichtsboykott) eine schnellere Reaktion der verantwortlichen Behörden erreichen zu können, obwohl leicht legale und wirksame Mittel hätten eingesetzt werden können. Die Verlegung der Demonstration auf den darauffolgenden schulfreien Tag wäre ein legales Mittel gewesen. 3. Wir sind sehr besorgt, weil es den Eltern und Lehrern der unteren Klassen in Hauptschulen und Gymnasien nicht möglich war zu verhindern, daß ihre unmündigen Kinder zu einem illegalen Streik mißbraucht wurden. 4. Wir sind sehr besorgt, weil einzelne Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens diese Maßnahme der Schüler gebilligt haben, obwohl sie gegen das Schulgesetz verstößt. Die Jugend hat ein Recht darauf zu erfahren, daß Bürger in verantwortlichen Positionen der Rechtsstaatlichkeit in unserer Demokratie den Vorzug geben vor Popularität. 5. Wir sind sehr besorgt, daß Journalisten, die sich in vielen Fällen als Verteidiger der Rechtsstaatlichkeit verstanden haben, in diesem Fall bei ihrer Berichterstattung nicht auch klar Stellungnahme gegen die Verletzung von Gesetzen bezogen haben. 6. Wir sind als Erzieher sehr besorgt, wenn in der Öffentlichkeit jetzt gefordert wird, daß Maßahmen gegen Schüler, die eindeutig gegen ein Gesetz verstoßen haben, unterbleiben sollen weil es um ein berechtigtes Anliegen ging. Ein Schüler, der bewußt ein Verbot dieses Staats mißachtet, muß im Rahmen der den Schulen obliegenden Erziehungsaufgabe auch eine entsprechende Konsequenz erfahren. Als Bürger und Erzieher haben wir die Sorge, daß einer berechtigten Forderung wegen fundamentale rechtsstaatliche Grundsätze drohen, außer acht gelassen zu werden.                         H. Mangold, Dipl.-Volkswirt, Oberstudiendirektor


Schülerstreik Badische Zeitung Freibug, 4./5. Juni 1980

Gezeter und Repressalien

Die Stellungnahme der Direktoren der Beruflichen Schulen zum Schülerstreik bleibt nicht unwidersprochen.

Hubert Mangold (Geschäftsführender Schulleiter der Freiburger Beruflichen Schulen) kritisiert im Zusammenhang mit dem Schülerstreik, daß „Bürger in verantwortlichen Positionen“ und Journalisten, die sich in vielen Fällen als Verteidiger der Rechtsstaatlichkeit verstanden haben, nicht klar Stellung „gegen die Verletzung von Gesetzen bezogen haben." Nehmen wir an, die Kritik Mangolds sei berechtigt - hat Herr Mangold dann ebenso besorgt die „Verletzung von Gesetzen" bei seinem Dienstherrn, dem Oberschulamt Freiburg, kritisiert? (zum Beispiel im "Zusammenhang mit der Kindler-Schroeder-Affäre). Oder ist es leichter, Schüler zu kritisieren, weil öffentliche Kritik. am Dienstherren verboten ist? Was meint Herr Mangold überhaupt mit der „Verletzung von Gesetzen"? Die Schüler haben gegen das geltende Schulrecht verstoßen, aber nicht derart, daß sie vor Gericht gestellt und bestraft werden können. Auch Oberschulamtspräsident Kindler wurde wegen seiner unerlaubten Handlungen nicht verurteilt — ihm wurde nur „fehlendes Unrechtsbewußtsein" zugute gehalten. Dennoch weiß jedermann, daß er gegen seine Pflichten gehandelt hat, als er von Schroeder geheime Sitzungsprotokolle entgegennahm. Müßte Schülern nicht viel eher „fehlendes Unrechtsbewußtsein" zugebilligt werden als einer pädagogischen Oberbehörde? Zerstört man nicht gerade hei jungen Menschen den Glauben an diese Rechtsordnung, wenn man bei den „hohen Tieren" Pflichtverletzungen mir nichts dir nichts durchgehen läßt, beim „kleinen Schüler auf der Straße" aber wochenlanges Gezeter und Repressalien folgen läßt? Gerade diese „ungleichwichtigen" Reaktionen zeigen doch, wie notwendig es einmal war, die Macht-Gewohnten zu verunsichern. Die Unfähigkeit dieser Herren, nachzudenken und zu lernen, wird somit plastisch verdeutlicht. Die Gefahren liegen allerdings ebenso deutlich auf der Hand: illegales und stures Handeln der Behörden und Amtsbekleider provoziert, findet Nachahmer — zerstört diese Ordnung mehr als diese Herren in der Lage sind wahrzunehmen. Roland Exner, Freiburg


Man muß doch nicht erst 18 sein
Wir können noch immer nicht verstehen, wie manche Leute den Schülerstreik am 9. Mai in Freiburg als illegales Mittel, gegen das KKW Fessenheim ansehen können. Denn ist es legal, wenn man Bürger, und somit auch Schüler, erst sehr spät informiert, oder ihnen sogar verheimlicht, wenn ein Reaktorunfall, sei er auch noch so „ungefährlich", passiert ist? Die Schülerstreiks in Freiburg und in Staufen, die in der Schulzeit stattfanden, sollten eben aufzeigen, daß es bisher für die Schulen noch keinen wirksamen Evakuierungsplan im Fall von einem Reaktorunfall gibt. Hätten diese Aktionen an einem freien Tag stattgefunden, so ist es fraglich, ob das Problem in dem Maße hätte dargelegt werden können. Ebensowenig können wir verstehen, wie man Schüler, die die Courage hatten an dem Streik teilzunehmen als unmündige Kinder bezeichnet, sie aber gleichzeitig wie jeden mündigen Menschen bestrafen will. Wir glauben, daß man nicht erst das 18. Lebensjahr erlangt haben muß, um die Gefahren von Fessenheim erkennen und sich dagegen wehren zu können! Karin N a g e l ei se n, Hauswirtschaftliche Berufsschule; Sigrid Nageleisen; Faust Gymnasium Staufen

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Mit Ärger durch die Prüfungen

Der erste Brief ist ein Ausrutscher - eine "andere Chance als Gewalt" gibt fast immer, und ob sie "eine Chance" bietet, muss stark bezweifelt werden. Doch in diesem Brief hatte ich zu meinem Leidwesen zweimal den falschen Begriff gewählt: Mit "Gewalt" war hier gemeint, was ich damals getan hatte: Die Vorlesung unterbrochen und eine Diskussion erzwungen... Das ist doch noch ein Stück von Gewalt entfernt. Und der zweite falsche Begriff: Es handelte sich um eine Klausur für einen Leistungsschein, nicht um das Abschluss-Examen, wenngleich ich mir diese Verwechslung heute kaum vorstellen kann... Stress...

FAZ vom 11.12., vermutlich 1971
Da hilft nur Gewalt
In Ihrem Leitartikel "Enklaven der Gewalt" (F.A.Z. vom 1. Dezember) ziehen Sie wieder einmal gegen den "Linksextremismus " in den Universitäten zu Felde - mit einer Tintenflut von Vorurteilen. Eine Analyse, eine Suche nach dem Warum, wird überhaupt nicht versucht. An den Universitäten herrscht in der Tat das Recht des Stärkeren, Willkür und Gewalt. Eine Gewalt, die sich leise hinter verschlossenen Türen vollzieht: Der Kastrationsritus der Prüfungen, in denen die Herren Professoren ihren von keiner Öffentlichkeit kontrollierten Sadismus sublimiert an den Mann bringen können. "In Freiburg steht es viel besser als in Berlin", schreiben Sie. In der Tat. Hier in Freiburg konnte es sich ein Professor der Betriebswirtschaftslehre im letzten Examen erlauben, fast sechzig Prozent der Klausuren mit "nicht ausreichend" zu zensieren. Das nenne ich Extremismus. Wir brauchen in der Universität tatsächlich eine öffentliche Kontrolle - aber nicht, um die Studenten in Schach zu halten, sondern die Professoren. Die Struktur der Universität ist ein Relikt des Feudalstaates: Jeder Professor ein kleiner Despot. Gibt es hier - wenn sich noch nicht einmal die Presse dieses Skandals annimmt - eine andere Chance als (Gegen-) Gewalt
 Roland Exner, Freiburg

 

FAZ 29. Dez 1971
Hochprozentig falsch
Die in der Leserzuschrift von Roland Exner (F.A.Z. vom 11. Dezember) aufgestellten Behauptungen über die angebliche Prüfungswillkür an der Universität Freiburg können nicht unwidersprochen hingenommen werden. Roland Exner versucht seine unhaltbare These von „der Willkür und Gewalt der Prüfer und ihrem Sadismus" allein durch den Hinweis zu belegen, die im letzten Examen im Fach „Betriebswirtschaftslehre" fast sechzig Prozent der Klausuren mit „nicht ausreichend" zensiert worden wären. Diese Angabe ist schlicht und einfach falsch. Tatsächlich lag der Prozentsatz der Klausuren mit der Note „nicht ausreichend" in diesem Fach erheblich niedriger, nämlich bei 25,3 Prozent. Die Gesamtdurchfallquote im Fach „Betriebswirtschaftslehre" belief sich auf 5,6 Prozent. Professor Dr. Jürgen Wild, Direktor des Betriebswirtschaftlichen Seminars an der Universität Freiburg, Freiburg


FAZ, den 30. Mai 1972
Was sie ihren Herren abgeguckt haben

In dem Bericht „Polizei gegen Professoren rufen?" von Kurt Reumann, F.A.Z. vom 16. Mai, lese ich: „Nichts charakterisiert die Lage an der Marburger Universität treffender, als daß der Ausschuß für Lehr- und Studienangelegenheiten sich mit Mehrheit für die Teilnahme Pirrows an der Befragung aussprach. Einer der Untersuchungsführer wäre damit ein Student geworden, dessen Störungen zum Untersuchungsgegenstand gehören."

Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß es an den Universitäten Beispiele gibt, die die Lage noch treffender charakterisieren. Nämlich dann, wenn sich ein Student über seinen Professor beschwert: Ich hatte hier in Freiburg Einspruch gegen die Prüfungsmethoden eines Professors erhoben. Einer der Untersuchungsführer: der betroffene Professor. Ich selbst, also der Beschwerdeführer, blieb von der „Verhandlung" ausgeschlossen - ebenso die Personen, welche meine Prüfung als Zuhörer erlebt hatten.

Solche Tatbestände passen freilich nicht in das Weltbild der F.A.Z.-Redakteure: Ausgestattet mit einem sehenden und einem blinden Journalisten-Auge, können Sie immer nur berichten, wie böse Studenten die heile Universitätswelt bedrohen. Die abstoßende Arroganz mancher Universitätsfürsten zerstört aber mehr Demokratie in diesem Lande, als Sie sich träumen lassen. Ich fürchte nämlich; manche der „bösen Studenten" praktizieren nur das, was sie ihren Herren vorher abgeguckt haben.                 Roland Exner, Freiburg


DER SPIEGEL

Brauchbare Menschen

(Nr. 12/1972, Gerhard Mauz über die sozialtherapeutische Anstalt Düren)

Ein sehr guter und notwendiger Artikel. Neidisch wurde ich allerdings, als ich las, daß in diesem Modell-Knast Professoren sich wie normale Menschen aufführen: Sie lassen sich ohne Bücklinge schlicht mit entblößtem „Herr" ansprechen. Das ahnte ich schon lange: Der Knast wird moderner als unsere Universitäten. Könnte man nicht einen Arbeitsdienst für Professoren in sozialtherapeutischen Anstalten einführen? Ich bin sicher, diese Herren würden von den Insassen zu gesellschaftlich brauchbaren Menschen umerzogen werden.

ROLAND EXNER, Freiburg


Badische Zeitung Samstag/Sonntag, 12./13. April 1980

Die Angst erstickt die Kritik
In Ihrem Bericht zum „Schulalltag" lassen Sie einen Lehrer fragen, was wohl bei Prüfungen der (zukünftigen) Lehrer die Gründe für „Bewertungsunterschiede" (sprich Willkür) sein könnten: Launenhaftigkeit, Inkompetenz? Das Gefühl, eine große Gewalt über andere Menschen zu haben? Nun, die Dinge hängen wohl zusammen: ein guter Lehrer ist weder launenhaft, noch inkompetent, noch mißbraucht er seine Macht. Solche (Lehrer-) Ausbilder scheinen indessen selten zu sein. Als Referendar habe ich ebenfalls schlimme Erfahrungen gesammelt. Am unangenehmsten habe ich es empfunden, daß die Herren Tatsachen einfach auf den Kopf stellen können; nichts hindert sie daran: „Das ist eben der Beurteilungsspielraum ..." Wenn nun aber schon bei der Lehrerausbildung eine solche Negativ-Pädagogik vorherrscht — nimmt es dann Wunder, daß wir von der „inhumanen Schule" nicht hinwegkommen? Der Junglehrer lernt wohl weniger eine Kommunikation mit Schülern als eine Kommunikation, die die Herren über ihn immer wieder bestätigt. Aber vielleicht merken die verbürokratisierten Lehrer-Macher das gar nicht? Denn die Angst; die sie verbreiten, ist so groß, daß kaum je Kritik aufkommt: Wo so viele Töpfe kochen, da pfeifen nur sehr wenige. Und wenn einer einen Laut von sich gibt, kriegt er gleich eins auf den Deckel. Wie sollen derart „abgekochte" Lehrer die Jugend zur Demokratie erziehen??         Roland Exner, Freiburg

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Obermain Tagblatt, 3. 1. 1989

Nazis: Pizzas im Visier

Aus der üblen Gerüchte-Küche Pizzerias als Geldwaschanlagen? / Höchstens Oliven gewaschen

LICHTENFELS. Unter der Überschrift »Wende zur »Wende« gelungen« veröffentlichte das OT einen Bericht über Berliner Republikaner zu Gast in Reundorf (28. 3.). Folgender Leserbrief ging ins zu diesem Thema zu:

Was hat denn jüngst fränkische Neonazis, die sich »Republikaner« nennen, mit ihren Berliner Parteigenossen zusammengetrieben? Die Berliner sind doch Preußen und nach kleinkariertem Weltbild so etwas Ähnliches wie Ausländer oder Asylanten. Aber halt!Da gibt es wohl auch Gemeinsames, zum Beispiel die Liebe zu deutschem Schweinebraten mit Knödel und Sauerkraut — und den Haß auf die fremdländische Küche, insbesondere die italienischen Pizzerias. Deutsche ! Eßt deutsch! Und um dem deutschen Volk das Sauerkraut schmackhaft zu halten und die Pizzas zu verderben, werden erst einmal böse Gerüchte gekocht. Da wird doch tatsächlich »rechts staatlich — ehrlich — patriotisch« behauptet: »In Berlin schossen Pizzerias wie Pilze aus dem Boden. Viele davon würden als Geldwaschanlagen für die Mafia genutzt. Dies sei heute nur die Spitze eines Eisberges, der 1992 ganz auftauchen würde.« Wann, bitteschön, wurde denn eine Pizzeria als Geldwaschanlage enttarnt? Und überhaupt ist es ein Witz: Pizzerias als Geldwaschanlagen! Wie wird denn Geld gewaschen? Zum Beispiel in einer staatlichen Spielbank, wo ein von der Mafia gekaufter Kassierer sitzt. Dem gibst du zum Beispiel 100000 schmutzige Märker, und er gibt dir dafür Spielmarken im gleichen Wert. Dann verspielst du ein paar hundert oder tausend Mark, und zum Schluß tauschst du die Spielmarken wieder in Geld um —sauberes Geld. Das schmutzige Geld ist dann in der Staatskasse, und niemand wird mehr daran schnuppern. Auch Banken eignen sich zur Geldwäsche - alle Institutionen, wo Millionenbeträge gedreht werden. Aber Pizzerias? Du gibst vielleicht 20 Mark und bekommst fünf zurück; zwischendrin werden höchstens Salate und Oliven gewaschen. Aber keine Bange, so leicht kriegt man die Ausländer heute nicht mehr aus Deutschland raus, vor allem nicht die Amerikaner, Engländer, Franzosen und Russen in Uniform. Je stärker die Nazis wieder werden, desto stärker werden wir spüren, daß die Sieger des Weltkrieges — zu Recht - wieder zu Besatzern werden. Die Teilung würde dann — trotz sowjetischen Tauwetters — für weitere Generationen zementiert, aber sie verhindert Gott sei Dank, daß die kleinkarierten Neider und Hasser je wieder zu einer politischen Macht aufstehen können. Die Wiedervereinigung wird nur möglich sein, wenn wir die »Ausländer« lieben; und wenn die »Ausländer« uns lieben. Bis dahin scheint es noch ein weiter, sehr weiter Weg zu sein«. Roland Exner, Gartenweg 3, Lichtenfels

P.S. im Jahre 2010: Das war ein Irrtum. Der Weg war dann doch nicht mehr so weit...

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Verkehrspolitik mit Micky-Maus und Geisterfahrern

aus Spiegel Nr. 7 - 7. Februar 1977

*Aus ”Ich Micky Maus – Im Tal des Todes“, Melzer-Verlag, Darmstadt


 

Badische Zeitung/Freiburger Ausgabe vom 20/21. Mai 1978

Verkehrssicherheit

Einer kommt entgegen

Fast jeden Tag hört man im Rundfunk folgende Meldung: „Achtung Autofahrer, auf der Autobahn ... kommt Ihnen auf Ihrer Fahrbahn ein Auto entgegen. Bitte fahren Sie ganz rechts und überholen Sie nicht. Wenn die Gefahr beseitigt ist, werden wir Sie wieder informieren." Dieses wohl erst seit einigen Wochen bestehende, offensichtlich perfekt funktionierende Meldesystem, ist sicher ein großer Fortschritt. Ein „Vermeidungssystem" wäre allerdings noch besser: Zunächst könnte man dicke, weiße Pfeile, die die erlaubte Fahrtrichtung anzeigen, auf die Ein- und Ausfahrten der Autobahnen malen. Weiter könnten Scheiben am Fahrbahnrand aufgestellt werden, die in erlaubter Fahrtrichtung grün, in unerlaubter Fahrtrichtung rot leuchten. Ein solches System wäre vergleichsweise billig und zugleich wirkungsvoll: an sich könnten dann nur noch Volltrunkene in die falsche Richtung fahren. R. E x n e r, Freiburg

Siehe ganz unten: ... im Jahre 2013 wurde das im Prinzip verwirklicht!

Badische Zeitung/Leserforum 11/12. November 1978 Badische Zeitung /Freiburger Ausgabe vom?

„Geisterfahrer" - Strafen oder neue Schilder?

Sie erwähnen Maßnahmen, die verhindern sollen, daß Autofahrer auf der Autobahn versehentlich in die falsche Richtung fahren. Mein Vorschlag: neben Pfeilen auf der Fahrbahn Scheiben am Fahrbahnrand aufstellen, die in erlaubter Fahrtrichtung grün, in unerlaubter Fahrtrichtung rot leuchten. Jeder Fahrer würde dann immer nur „seine richtige" Farbe sehen. Damit wären 60 Prozent der Geisterfahrer, die - nur aufgrund von Orientierungsmängeln falsch fahren, „abgesichert". Die restlichen 40 Prozent der „Geisterfahrer“ - vor allem: Fahrer mit seelischer Ausnahmesituation, potentielle Selbstmörder, Alkoholiker - bleiben allerdings als gesellschaftspolitisches Problem. Hier kann man nur Fragen stellen und Vermutungen aus sprechen. Ist das sich abzeichnende Verkehrs-Chinesisch (bisher über 400 Zeichen, steigende Tendenz) nicht eher verwirrend als klärend? Sollte man sich nicht auf wichtige Grundzeichen beschränken? Die Farben Rot und Grün wären solche Grundzeichen. Wie geraten „Normalbürger" in „seelisch-geistige Ausnahmesituationen?" Wieso entschließt sich ein „Normalbürger" zu einer Geister- oder Todesfahrt? Sagt er vielleicht unbewußt: Einmal im Leben will ich gegen den Strom schwimmen (sprich: in die falsche Richtung fahren)! Einmal will ich „ich selbst" sein, und wenn's mir das Leben kostet... Roland E x n e r, Freiburg

... oder man hat einfach zuviel...
... Aus:
einem Bierdeckel...
 


Widerspruch zu meinen Briefen gab es eigentlich nie innerhalb der vielen Jahre – mit zwei Ausnahmen.
Hier der eine Fall. Ich behielt da irgendwie recht - in der falschen Richtung stehen jetzt tatsächlich rote Verbotsschilder! Auch wenn die Fahrspur eigentlich "richtig" lenkt.

 

Badische Zeitung, Ausgabe 9./10. Dezember 1978

„Geisterfahrer"
Es liegt nicht am Mangel von Schildern

Zur Leserzuschrift „Geisterfahrer" von Roland Exner

Dem Vorschlag von Herrn Exner, neben Pfeilen auf der Fahrbahn auch Scheiben am Fahrbahnrand aufzustellen, die in erlaubter Fahrtrichtung grün, in unerlaubter Fahrtrichtung rot leuchten (der Steuerzahler zahlt's ja), kann ich mich nicht anschließen. Ein Geisterfahrer muß, wenn er in eine Autobahnein- und -ausfahrt einbiegt, die von der Seite seiner Fahrtrichtung abzweigt, vor der Insel, auf der das Richtungsschild steht, einfahren und dann die undurchbrochene Linie zwischen Ein- und Ausfahrtsbahn überqueren, wenn er die Autobahn in der falschen Richtung benutzen will; oder nach dieser Insel auf die Abfahrt einbiegen und dann die rechts von ihm durch die undurchbrochene Linie getrennte, Einfahrtsfahrbahn mißachten. Ein Geisterfahrer muß, wenn er in eine Autobahnein- und -ausfahrt einbiegt, die von der Gegenfahrbahn seiner Fahrtrichtung abzweigt, vor der Insel mit dem Richtungsschild auf die Ausfahrtfahrbahn einbiegen und unter Mißachtung der rechts von Ihm durch eine undurchbrochene Linie getrennte Einfahrtfahrbahn in die falsche Richtung auf die Autobahn einfahren; oder wenn er nach der Insel einbiegt, von der Einfahrtfahrspur durch Überqueren der undurchbrochenen Linie auf die Ausfahrtsfahrspur überwechseln. Jede Autobahnausfahrt und -einfahrt ist auch noch mit entsprechenden Schildern versehen, und zwar dort, wo die undurchbrochene Linie aufhört und beide Fahrspuren durch die Bepflanzung geteilt werden. Da steht auf beiden Seiten der Ausfahrtsspur das rote Schild mit dem weißen Querbalken und auf der linken Seite der Einfahrtsspur das blaue Schild mit dem schräg nach rechts unten zeigenden weißen Pfeil. Noch ein Merkmal: Einfahrten fädeln sich durch einen sanften Bogen, der eine Beschleunigung zuläßt in die richtige Fahrbahn ein. Ausfahrten beginnen, um den Autofahrer zum Herabsetzen der Geschwindigkeit zu zwingen, mit einem starken Bogen, der beim Einfahren in die falsche Richtung keine Beschleunigung zuläßt. Wird also, wie aufgezeigt, absichtlich in die falsche Richtung eingefahren, oder ist jemand tatsächlich so dumm, daß er das nicht merkt, gehört, ohne an Humanitätsduselei zu leiden, der Führerschein für den Rest seines Lebens entzogen, verbunden mit einer besonders hohen Geldbuße. Wilfried K e n t e r, Teningen

ADAC-Motorwelt Oktober 2010:

Schilder gegen Falschfahrer

Pilotprojekt auf zwei bayerischen Autobahnen

Unfreiwillig machte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer auf ein Pilotprojekt seiner Regierung aufmerksam, als er und sein Fahrer Mitte September nur knapp einem Zusammenstoß mit einem Falschfahrer auf der A 9 entkamen. Kurz zuvor hatte Innenminister Joachim Herrmann angekündigt, dass auf zwei bayerischen Autobahnen Schilder aufgestellt werden, die mögliche Geisterfahrer noch vor der Auffahrt auf die Autobahn stoppen könnten. Wie in Österreich sollen eine schwarze Hand auf gelbem Hintergrund und der Schriftzug „STOP FALSCH" vor dem verhängnisvollen Fahrfehler warnen. Geplant ist, die Tafeln an der A 3 vom Autobahnkreuz Deggendorf bis zur österreichischen Grenze und an der A 8 vom Chiemsee bis zur Bundesgrenze zu platzieren. Die Geisterfahrt auf der A 9 ging glücklicherweise ohne Verletzte oder Tote zu Ende. Die Polizei konnte den Falschfahrer kurz nach der Beinahe-Kollision mit Horst Seehofer stoppen.

;           Quelle: Polizei Oberbayern
 

Aus: ADAC-Motorwelt Februar 2013 - so "in der Richtung" wie mein Brief oben vom November 1978....


 

Warntafeln gegen Geisterfahrer   

Pläne des Verkehrsministeriums: In Deutschland sollen alle Autobahnauffahrten mit speziellen Schildern ausgestattet werden

Verkehrsminister Peter Ramsauer hat im Rahmen der ADAC Preisverleihung „Gelber Engel" angekündigt, alle etwa 2000 Autobahn­auffahrten in Deutschland mit neonfar­benen Warntafeln auszustatten. Diese sollen verhindern, dass Autofahrer ver­sehentlich auf die falsche Spur gelan­gen und dadurch zu Geisterfahrern werden. Ramsauer plant damit, einer Forderung von ADAC Präsident Peter Meyer nachzukommen. Einen hundertprozentigen Schutz gegen Falschfahrer bieten die Schilder allerdings nicht. In den letzten Wochen kam es erneut zu schweren Unfällen aufgrund von Falsch­fahrern. Allein 2012 wurden etwa 1800 Geisterfahrten gemeldet.

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Badische Zeitung / Freiburger Ausgabe, 18. Dezember 1975

Anlieger protestieren gegen sich selbst

Der immer lautstarker werdende Protest von Bürgern, die unter Autoverkehr leiden, ist verständlich, zumindest auf den ersten Blick. Ich möchte auch nicht an der Hauptverkehrsstraße in Ebnet wohnen. Aber ich möchte auch nicht in der Innenstadt Frankfurts, an einer Hauptverkehrsstraße in Berlin oder an irgendeiner anderen der vielen tausend lärm- und abgasbelästigten Verkehrswege wohnen; auch einige Verkehrswege innerhalb Freiburgs zählen hierzu. Was geschähe, wenn alle unter dem Straßenverkehr leidenden Bürger zum „Aufstand" schreiten würden? Spätestens dann müßten diese Bürger doch merken, daß sie gegen sich selbst protestieren: sie alle, die das Auto nicht an ihrem Fenster vorbeifahren sehen, hören und riechen wollen, die aber selbst ohne mit der Wimper zu zucken an Zehntausenden Fenstern vorbeifahren. St. Georgen will eine Umgehungsstraße. Ebnet will eine - alle wollen Umgehungsstraßen. Wohin? In die Stadt. Was aber, wenn die Stadtbewohner selbst sich zu wehren beginnen? Antwort eines Ebneter Bürgers: „Die ziehen doch sowieso bald alle weg". Nun, warum ziehen die Ebneter nicht weg? Der ganzen Auseinandersetzung fehlt die integrative Intelligenz. Bei einer Problemlösung müssen alle ein gewisses Opfer bringen - wodurch allerdings alle mehr gewinnen können. Teilaspekt einer möglichen Lösung könnte so aussehen: Reservierte Parkplätze für Stadtbewohner, ansonsten Parkplatzverknappung und -Verteuerung. Vor den Stadteinfahrten große Parkplätze, von denen ständig (Klein-)Busse in den Stadtbereich pendeln. Roland E x n e r, Freiburg
 


Badische Zeitung

Radwege

Kenner der Verhältnisse

Unser Beitrag vom 14. 7. 1977, S. 15/16.

Für wen werden Radwege gebaut? Für „Ballonfahrer", „Stadtschleicher" oder „Springreiter" - je nach Art des Rades und des Fahrstils, mit dem die Hindernisse (vor allem: „kantige" Auffahrten) überwunden werden müssen. Oft ist aber überhaupt kein Radweg vorhanden; langjährige gute Überlebenschancen haben dann nur einschlägige „Verkehrsexperten". Kenner der Verhältnisse, die zum Beispiel auf der Berliner Allee über die Dreisam-Brücke fahren, wissen, daß sie nur auf dem (einzigen, schmalen) Bürgersteig sicher sind (und daß die Polizei beide Augen zudrückt). Wer mit dem Rad von Opfingen kommt, tut gut daran, mehr nach hinten als nach vorn zu schauen, besonders auf der Autobahn-Brücke: da schießen Autofahrer mit 100 km/h fahrtwindnah vorbei. Auf der Weiterfahrt Betzenhausener Straße Richtung Lehen ändert sich die Szene. Empfehlenswert hier: immer nach vorn schauen und jederzeit bereit sein, auf's Feld zu springen - entgegenkommende Autofahrer nehmen beim Überholen auf der schmalen Straße nämlich nicht unbedingt Rücksicht auf Radfahrer. Roland E x n e r, Freiburg


Badische Zeitung vom 3. Juli 1978

Beste Lösung abgelehnt

Verkehrsplanung B 31 / Kommentar vom 20. Juni, „Der zweite Weg ins Höllental"

„Damit war' die Entwicklung vorprogrammiert", ist der Kernsatz Ihres Kommentars: Stets, so scheint es, ist „die Entwicklung vorprogrammiert". In Zukunft nichts Neues: Eine breite, autobahnähnliche Einfallstraße, die sich mitten in der Stadt drastisch verengt, muß zwangsläufig zu Verkehrsstauungen führen, die dann nur durch die derzeit noch geleugnete Autoschnellstraße behoben werden können. Der SPD-Arbeitskreis Verkehr hatte dies rechtzeitig erkannt (vergl. BZ vom 12. Jan. 1976) und als Alternative die Nordumgehung (Roßkopftunnel) vorgeschlagen - vergebens, wie man heute weiß. Die Ablehnung dieser „besten Lösung" erfolgte aus „finanziellen" Gründen. Unklar bleibt freilich, ob die hier praktizierte, unüberschaubare salamischeibchenweise Planung letztlich nicht teurer wird als die Nordumgehung. Wer kennt denn den Preis der gesamten Wurst? (einschließlich der zu erwartenden Zerstörung der Innenstadt). Wie soll man angesichts solcher Tatbestände zum Beispiel die Äußerung des Regierungspräsidenten Person einordnen: es müsse, im Zusammenhang mit einem Park-and-ride-System, überlegt werden, wie die Autofahrer gezwungen werden können, von ihrem Fahrzeug auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen? (BZ vom 20. 2: 1978) Die tatsächlichen Planungen, führen wohl eher zur Abschaffung der Fußgänger. Eine klare und umfassende verkehrspolitische Gesamtkonzeption ist jedenfalls nicht sichtbar: Mit welchen Argumenten sollen nun die belächelten Einzelkämpfer (die gegen die geplante Trasse der B 31 antreten) überzeugt werden? Daß sie eben schwächer sind als die Windmühlen der Verwaltung? Daß das Rad der Planung unaufhaltsam - über sie - hinwegrollt? Indessen, Einzelne können der Stadt durchaus Paroli bieten, ihr sogar auf der Nase herumtanzen: wohlbekannt ist das Beispiel der Flückiger GmbH im Freiburger Westen, deren Inhaber den Ausbau eines Naherholungsgebietes jahrzehntelang blockieren. Oder haben etwa große Eigentümer besondere Rechte, von denen die Kleinen nur träumen dürfen? Roland E x n e r, Freiburg


Badische Zeitung / Freiburger Ausgabe vom 14. März 1979

Mangel an Flexibilität

Zum Beitrag „Keine Besserung für die Umsteiger"

In Ihrer Ausgabe vorn 11. Januar berichten Sie, da die Fahrpläne der VAG nicht nach Großveranstaltungen ausgerichtet werden könnten, weil sie auf Umsteigebeziehungen abgestimmt seien. Damit auch niemand an der Legalität dieser verkehrspolitischen Starrheit zweifelt, fehlt nicht der Hinweis auf das Personenbeförderungsgesetz. Daß „das Gesetz" auch ein wenig Flexibilität und Phantasie zuließe, wird nicht gesagt. Nun fahren ja manche unserer Stadträte hin und wieder nach Berlin: Haben sie bemerkt, daß dort nach Großveranstaltungen grundsätzlich Sonderbusse bereitgestellt werden? So etwas sollte doch in Freiburg auch möglich sein. Weiterhin könnte man nachts ein paar Linientaxis durch das Stadtgebiet fahren lassen, die wartende Fahrgäste aufsammeln und nach Hause fahren. Zu teuer? Nun, für Parkhäuser (die den Autoverkehr in die Stadt ziehen) ist kein Geld zu schade. Für einen wirklich leistungsfähigen Nahverkehr, der dazu anreizen könnte, das Auto auch mal zu Hause zu lassen, fehlen die Mittel. Das liegt vielleicht daran, daß die Politiker vermuten, der Autofahrer sei der (Wahl-)König. Roland E x n e r, Freiburg


Badische Zeitung / Freiburger Ausgabe, 19. August 1975

Lieber keine Stadtbahn

„Evers fragt nach Stadtbahn in den Westen", BZ vom 9. August

Mit Genugtuung lese ich Ihre Meldungen, daß die Stadt Freiburg bisher vergeblich auf den Bonner Segen für die Stadtbahn nach Landwasser wartete. Es gibt also noch eine Chance, daß das Projekt gestrichen wird. Zwar würde dies zum Nachteil der Landwasserbewohner gereichen (ein paar Minuten längere Fahrzeit) - aber um welchen Vorteil für die Allgemeinheit? Würde das Projekt infolge Geldmangels auf dem Kehrichthaufen des letzten Wahlkampfes liegenbleiben, dann wäre noch einmal Zeit, über Nahverkehrslösungen nachzusinnen, die - vielleicht zum selben Preis? - die ganze Freibunger Region einbezögen.

Im übrigen könnte gerade in relativ übersichtlichen, abgegrenzten Stadtbezirken beziehungsweise Hochhäusern solidarisches Verhalten zwischen Autofahrern und Nichtmotorisierten organisiert wenden, so daß gegebenenfalls bestehende Nahverkehrsprobleme stark vermindert oder gar beseitigt werden könnten. Hundertdreißig Millionen Mark, die in unseren Taschen blieben, wären's schon wert! Roland E x n e r, Freiburg

P.S.: Zu der Stadtbahn hatte ich einige Briefe veröffentlicht. Später wurde der Bau beschlossen. Dann ging es mir darum, dass statt der zig-Millionen-DM teuren Brücke eine sinnvolle Ampellösung in Betracht gezogen werde, vergebens.

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Badische Zeitung /Freiburger Ausgabe vom 12. Januar 1978

Verkehrstarife

Folgekosten werden unübersehbar

Unser Kommentar „Schritt zur Schritt“ vom 22.12.1977

Sie berichten, bisher sei der Gemeinderat für die Tarife der VAG verantwortlich gewesen - in Zukunft werde der Aufsichtsrat der VAG (anonym) die Fahrpreise erhöhen. Dies läßt einiges erwarten: Preiserhöhungen sind erfahrungsgemäß nur dann sehr drastisch, wenn sie kraft Verwaltungsakt („administriert") entstehen (Wettbewerb und öffentliche Kontrolle lassen i. d. R. nur mäßige Preiserhöhungen zu).

Warum überhaupt immer Preiserhöhungen? Eine vernunftgesteuerte öffentliche Verwaltung würde zum Beispiel nicht 90 Millionen Mark in eine Stadtbahn investieren; Folge: neue Defizite, neue Preiserhöhungen; sie würde (vielleicht) 45 Millionen Mark dazu verwenden, in den nächsten Jahren die Preise zu senken; sie würde (vielleicht) weitere 45 Millionen Mark in neue Busse, Abrufbusse, Linientaxis und sonstige (organisatorische) Maßnahmen investieren - um endlich die Autofahrer vom Auto in den Bus zu locken (im Stadtverkehr durchaus keine Utopie - steuerliche Anreize könnten ebenfalls als Lockmittel dienen). Folge wäre: „eingesparte" Straßen, Brücken, Unterführungen, Parkplätze und -häuser usw. Hierdurch würden erneut Gelder für den Nahverkehr frei werden.

Leider geht man den umgekehrten Weg; falsche Maßnahmen und Planungen fressen die Gelder, die Folgekosten werden unübersehbar. Wenn in der Zukunft die (bereits sichtbare) Tendenz verstärkt wird, daß die bürokratischen Apparate an den Bedürfnissen der Bürger vorbeihandeln, sollte die Antwort sein: Selbsthilfe der Bürger - z. B. durch Organisation eines finanziell geregelten Mitfahrsystems. Die zu befürchtenden „administrierten" Preiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr werden solche Systeme (wenn nicht Selbsthilfe-, so privatwirtschaftlich organisiert) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entstehen lassen.         Roland Exner, Freiburg
 


Obermain Tagblatt vom 9. Dezember 1987

Immer mehr Straßen für immer schnellere Autos
In der letzten Wochenendausgabe berichtete das Obermain-Tagblatt über eine Sitzung der Kreisverkehrswacht. Vorstandsmitglied und Landrat Ludwig Schaller erklärte hier im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen auf den Straßen. »Wir brauchen keinen Krieg, die Kinder bringen sich selber um.« Landrat Schaller meint mit dieser Aussage wohl, daß die Unfälle auf den Straßen etwa soviel Opfer fordern wie ein Bürgerkrieg - und Schuld daran sind die »Kinder«, denn sie »bringen sich selber um«. Dies könnte man wohl auch von einem Bürgerkrieg behaupten, nur daß der Zynismus da allzu deutlich sichtbar wäre. Dort töten sie sich auf Befehl der Alten, hier bereiten die Politiker das Umfeld für die allseits beklagte zunehmend aggressive Fahrweise. Einerseits hat Landrat Schaller den Autofahrer als Mehrheitswähler im Auge, denen immer mehr, immer breitere Straßen - die grenzenlose große Freiheit - versprochen wird, und zwar auf Teufel komm raus: In Zukunft mit Vollgas durch die Gaabsweiher: »Die Viecher und Vögel kümmern sich doch gar net darum«, so Landrat Schaller. Und die »Kinder«, die dort, von der Werbung für starke Autos angefeuert, so richtig die Sau rauslassen, 50 bis 70 Sachen zusätzlich sind dann wohl noch drin, »bringen sich selber um«, na klar doch! Wir Politiker bedauern! Über eine sinnvolle, alle Belange des Menschen umfassende regionale und gesamtwirtschaftliche Verkehrskonzeption haben wir nie nachgedacht, und wir werden dies auch nie tun. Seit Jahrzehnten bauen wir immer mehr Straßen für immer schnellere Autos, und dies werden wir auch in Zukunft tun. Schließlich sind die Masse der Wähler Autofahrer, und natürlich ohne Vernunft. Tote wählen nicht, und die vielen Verletzten sind immer noch die Minderheit. Und ehe die Mehrheit der zukünftigen Generation merkt, daß nichts mehr geht, sind wir längst in Pension ... Roland Exner, Gartenweg 3, 8620 Lichtenfels


FAZ vom Dienstag, 19. November 1974

Briefe an die Herausgeber

Cabinen-Taxis

Zu: „In Hagen fahren Cabinen-Taxis", FAZ. vom 12. Oktober:

Forschungsminister Matthöfer, so berichten Sie, stellte bei der Eröffnung der Demonstrationsstrecke des neuen Nahverkehrssystems „Cabinen-Taxi" (CAT) die Frage, ob nicht die Kosten für ein solches System die Leistungsfähigkeit der Gemeinden übersteige. Die Frage ist - aus volkswirtschaftlicher Sicht - falsch gestellt: Die Gemeinden müßten ja nicht unbedingt die gesamten Kosten tragen. Nun mag die falsche Fragestellung eines Politikers dazu dienen, von des Pudels Kern abzulenken, nämlich: kann der individuelle Nahverkehr nicht genauso effizient wie mittels CAT-System, dabei aber wesentlich kostengünstiger bewältigt werden? Er kann.

Beispiel: Eine mittlere Großstadt mit weitverzweigten Vororten (oder auch ein entsprechender Stadtteil einer City), etwa 150 000 Einwohner. Man würde hier vielleicht 30 Kilometer CAT-Linie benötigen. Anstelle des ersten Kilometers (= 6 Millionen Mark) kaufe man 300 oder 400 (je nach Größe) Kleinbusse, anstelle des zweiten, meinetwegen auch dritten Kilometers bezahle man die Busfahrer und sonstiges Personal, und die restlichen 27 Kilometer (etwa 160 Millionen Mark) verwende man für andere Zwecke. (Die Kosten für Personal und anderes in den Folgejahren sind ebenfalls weitaus geringer als die fiktiven Zinskosten für 160 Millionen Mark.) Ein solches mobiles, taxiähnliches (aber billiges) Kleinbus-System ließe sich noch mit kleinen Elektro-Autos kombinieren, die führerscheinlos benutzbar sein könnten. Mit 1,5 Millionen Mark (= 250 Meter CAT-System) ließen sich auch noch zehntausend Gratisfahrräder - zur freien Benutzung für jedermann - über die Stadt verstreuen.

Hinzufügen möchte ich noch, daß die Herstellungskosten von 6 Millionen Mark je Kilometer CAT-System wohl nicht sämtliche Kosten pro Kilometer darstellen, sondern nur die Kosten für Trasse, Kabinen, Elektronik und dergleichen. Wie hoch aber - wer kann so hoch blicken? - würden die „Nebenkosten" sein, zum Beispiel für Tunnel, Überführungen und sonstige Anlagen. Oder glaubt man, die 90 und 175 Zentimeter hohen Trassen, auf denen die Kabinen fahren sollen, werden keine Straßen kreuzen? Die 1,3 Kilometer lange „Demonstrationsstrecke" demonstriert sicher nicht das Ausmaß, in dem die alte Infrastruktur aufgerissen und verändert werden müßte.         Roland Exner, Freiburg


 

Ein Jahr später ein Artikel in der FAZ vom 24. Dezember 1975 von Joh.- Chr. Spira, gar nicht so weit entfernt von "meinen" taxiähnlichen Kleinbussen:

Der Traum vom Bus vor der Haustür Cobsy - ein neuartiges bedarfsgesteuertes Personentransportsystem

Lästiges Umsteigen mit schlechten Anschlüssen und langen Wartezeiten bei kaltem, unfreundlichem Wetter sind keine guten Argumente für unsere öffentlichen Nahverkehrsmittel. Um so begieriger verfolgen leidgeplagte Bürger alle Neuheiten, die sich auf dem Gebiet der Personentransportsysteme anbieten. Zugleich aber zerstörten mittlerweile die bekannten Kostenlawinen fast alle hochgespannten Erwartungen auf unkonventionelle technische Lösungen.

Das Institut für Kraftfahrwesen an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, das seit 1971 auf dem Gebiet bedarfsgesteuerter Personentransportsysteme arbeitet, berichtet freilich anderes. Sein computergesteuertes Bus-System, kurz Cobsy genannt, biete wohl von den Kosten wie auch von der Bedienung her verlockende und realistische Voraussetzungen für zahlreiche Anwendungsbereiche. Es geht hier im Idealfall um ein Transportsystem, das nach Art eines Taxinetzes gemäß den individuellen Fahrzeit- und Zielwünschen … einen Flächenverkehr bedienen soll. Seine Planer sehen Realisierungschanccn fü´r Cobsy sowohl im öffentlichen Personennahverkehr in Ballungsgebieten wie andererseits auf Werksgeländen oder im Dienststellenverkehr bei Behörden. Durch Verwendung verschiedener Bedienungsformen wird von 25 möglichen Systemvarianten gesprochen. Das beginnt beim anspruchsvollen Flächenverkehr mit Bedarfsanforderung für den „Haus-zu-Haus"-Service bis zur Vereinfachung nach Art eines Takt- oder Normalfahrplans.

In der Betriebssteuerung unterscheiden die Cobsy-Strategen fünf unterschiedliche Grund-Einsatzformen. Bei „one to one" wird die Verbindung zwischen zwei Punkten ohne Zwischenhalt bedient. Schon hier kann die Routenführung starr oder dynamisch sein. Unter „few to one" verstehen sie die Verbindung von zwei bis zehn Haltepunkten zu einem dominierenden Verkehrsknotenpunkt. „Manv to one“ gilt als System, das von einem dominierenden Bezugspunkt (zum Beispiel Bahnhof) ausgehend als Verteiler-Verkehr in die umgebende Fläche ausstrahlt. „Many to few" ist eine Erweiterung des many to one"-Systems, das Beförderungsangebot wird auf zwei bis zehn Bezugspunkte ausgedehnt. Um schließlich der Phantasie jede Grenze zu nehmen, gibt es die Formel „many to many": In einem definierten Verkehrsgebiet ist jeder Haltepunkt - praktisch , jedes Haus - Quelle und Ziel der Fahrzeugrouten.

Erste Ergebnisse einer Pauschalsimulation, wie sie im Gelände der Technischen Hochschule Aachen im Dienstsellenverkehr aufbereitet wurde, ergaben eine Nachfrage von 2000 Fahrten je Tag. Erforderlich waren dazu sechs Busse, und die Benutzer hatten durchschnittlich mit Wartezeiten von 7,5 Minuten zu rechnen. Immerhin könnte man hier, je nach Systemauslegung, bis zu 3000 Fahrtwünsche je Stunde disponieren. Im übrigen sei das flächenerschließende Cobsy auch als Unterabteilung in ein vorhandenes Verkehrssvstem mit festen Linien- und Fahrplänen zu integrieren. Man denkt hier an den Zubringerverkehr zu konventionellen Bus-Linien, zu U- oder S-Bahnstationen. Auch könne Cobsy als sogenannter Bv-Bus einem linien- und fahrplangebundenen Transportsystem einer Großstadt „überlagert" werden. Dabei denkt man an Gelegenheits-, Schüler- oder Nachtverkehr. Vor allem aber sehen die Cobsy-Strategen den Einsatz bedarfsgesteuerter Busse für Klein- und Mittelstädte als Generalverkehrssystem vor.

Das Aachener Institut für Kraftfahrwesen kommt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass sich die Attraktivität von Cobsy für Benutzer an der Eignung der eingesetzten Fahrzeuge bemesse. Bei geringerer Verkehrsnachfrage, eigneten sich eher manuell gesteuerte Kleinbusse oder Taxis. Andererseits liege die maximale Beförderungsleistung eines Transportsystems wie Cobsy bei 5000 Personen je Stunde und Richtung. Es sei damit einigen Klein- und Großkabinen-Systemen durchaus ebenbürtig. Als Energiebedarf könne man mit Werten von 200 Wattstunden je Personenkilometer rechnen. Vor allem für die durchschnittliche Reichweite von weniger als zwei Kilometern seien kostendeckende Fahrpeise möglich.

 

... und 44 Jahre später in der Berliner Zeitung vom 13./14. Oktober 2018, Seite 15

BVG plant Rufbusse im Umland
Neuer Fahrdienst könnte Bahnhöfe am Stadtrand mit Wohngebieten verbinden - auch im Land Brandenburg


 

Der Berlkönig könnte bald Geschwister bekommen. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wollen ein solches Mittelding zwischen Rufbus und Sammeltaxi künftig auch außerhalb der Innenstadt anbieten. „Unsere Idee ist, dass Vans oder Kleinbusse Schnellbahnstationen im Berliner Außenbereich mit anliegenden Wohngebieten möglicherweise auch im benachbarten Brandenburg verbinden“, sagte Sigrid Evelyn Nikutta, die Vorstandsvorsitzende des Landesunternehmens, der Berliner Zeitung am Freitag. Einer der möglichen Startpunkte auf Berliner Gebiet könnte der U-Bahnhof Hönow sein. Die Endstation der Linie U5 liegt an der Grenze zum Landkreis Märkisch-Oderland.

Es geht um Ridesharing – und das funktioniert so: Wer mitfahren will, zückt sein Mobiltelefon und teilt per App mit, wo die Fahrt beginnen und wo sie enden soll. Ein Computer koordiniert die Wünsche und stellt die Routen zusammen. Ziel ist es, dass sich möglichst viele Fahrgäste die Autos teilen – das senkt die Betriebskosten. Vorteil für die Nutzer ist es, dass sie keine Fahrpläne beachten müssen und direkt ans Ziel oder zumindest in dessen Nähe gefahren werden. Dafür müssen sie im Berlkönig mehr zahlen als in einem BVG-Bus – aber nicht so viel wie im Taxi.

Berlkönig fährt rund um die Uhr
„Mit dem Berlkönig, der seit September unterwegs ist, haben wir gezeigt, dass ein solches Angebot praktisch funktioniert“, sagte Nikutta. „Darum sind wir zuversichtlich, dass es sich auch außerhalb des jetzigen Einsatzgebiets bewähren würde.“ Davon könnten Pendler profitieren, die mit der S- oder U-Bahn an den Stadtrand fahren und für die letzte Meile nach Hause eine Fahrmöglichkeit benötigen. „Derzeit sind viele auf diesem Abschnitt ihrer alltäglichen Fahrt noch mit dem eigenen Auto unterwegs. Allerdings könnte der öffentliche Nahverkehr auch einen Teil dieser Autofahrten ersetzen – mit Vans oder Kleinbussen, die sich per App rufen lassen und die ihre Nutzer dann vor die Haustür oder in die Nähe bringen“, so die BVG-Chefin.
„Klar ist, dass es sich auch hier um On-Demand-Ridesharing handeln wird. Das heißt: Im Idealfall werden viele Fahrten gepoolt, das heißt, Fahrgäste mit ähnlichen Zielen fahren zusammen“, sagte sie. „Entweder suchen wir neue Partner, oder die Fahrzeuge fahren mit BVG-Personal.“ Über Details und die Finanzierung sei noch zu sprechen. Ein Projektantrag beim Bund ist gestellt.
Bislang wurde der Berlkönig für mehr als 10 000 Fahrten genutzt, und die App, mit deren Hilfe die Kunden ein solches Fahrzeug bestellen können, wurde 30 000-mal heruntergeladen. Zunächst waren die 50 Limousinen von Mercedes-Benz, die an den Seiten das wilde Anti-Graffiti-Sitzbezugmuster der BVG tragen, freitags und sonnabends von 17 bis 5 Uhr unterwegs. Doch ebenfalls am Freitag gab der BVG-Partner Via Van bekannt, dass der Berlkönig nun täglich rund um die Uhr fährt.
„Außerdem wird die Zahl der Fahrzeuge, die von ViaVan mit eigenen Fahrern betrieben werden, zügig auf 300 steigen“, ergänzte Nikutta. „Dabei wird auch der neue elektrische eVito verstärkt zum Einsatz kommen.“
Am Einsatzgebiet, der östlichen Innenstadt und dem Michelangelokiez, ändert sich nichts. Auch nicht am Fahrpreis: Ein Kilometer kostet 1,50 Euro, jede Fahrt mindestens vier Euro. Registriert der Computer hohe Nachfrage, kommt ein 25-prozentiger Zuschlag dazu. Werden Mitfahrer angemeldet, zahlen diese jeweils nur die Hälfte. Das Prinzip, das der Ein- und Ausstieg ausschließlich an 621 Bus- und 4 423 virtuellen Haltestellen möglich ist, bleibt ebenfalls.

Taxigewerbe bietet Kooperation an
Anfangs hatte die BVG auch mit dem Taxigewerbe gesprochen. „Es wäre sinnvoll, wenn die BVG noch einmal über eine Zusammenarbeit nachdenken würde. Wir stehen bereit“, sagte Hermann Waldner von Taxi Berlin. In den Außenbezirken würden sich viele Bürger darüber freuen, wenn Großraumtaxis sie abends vom U-Bahnhof vor die Haustür oder in die Nähe bringen würden.
„Ein solcher Fahrdienst wäre zu einem attraktiven Sondertarif möglich“, so Waldner. „Großraumtaxis können je nach Typ fünf bis acht Fahrgäste befördern, damit wären sie für die BVG sehr kostengünstig.“
Der Fahrgastverband IGEB und andere Kritiker bemängeln, dass sich die BVG lieber um ihr Hauptgeschäft kümmern sollte, als sich mit neuen Ideen zu verzetteln. Oft fielen Fahrten aus, die U-Bahn habe zu wenige Züge. Nikutta dazu: „Natürlich kümmern wir uns nicht nur um neue Projekte wie den Berlkönig, sondern vor allem um unser Kerngeschäft.“

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DIE ZEIT vom 8. September 1972

Asoziale schuldig?

Karl-Heinz Harenberg: „Degradiert zum Objekt", ZEIT Nr. 33

Ich möchte einwenden, daß Ihrer Argumentation die „harte" theoretische Basis fehlt. Da wird zum Beispiel der Begriff „Resozialisierung" unreflektiert übernommen - geradeso, als gelte es, ehemals „sozialisierte" Menschen, die aus eigener Schuld das sie umgebende soziale Geflecht durchbrochen haben, also auf die „schiefe Bahn" gekommen sind, nun auf den „geraden Weg" zurückzuholen, das heißt zu resozialisieren.

Dabei wissen Sie doch, daß die meisten der typischen Kriminellen niemals „sozialisiert" wurden und daher auch nicht resozialisiert werden können: Menschen, die in Heimen oder defekten Familien aufgewachsen sind - Frühausgestoßene, für die nur (zunächst) Jugendheime und (später) Gefängnisse offene Türen (aber bloß zum Hineingehen) haben.

Allgemein gilt: Je defekter das Familien- oder Heimmilieu, desto sicherer die „Kriminalitätsprognose", eine bestimmte Kombination von Faktoren wirkt sogar hundertprozentig kriminogen (auch die Art des Delikts korreliert eng mit einer bestimmten Familienkonstellation). Man muß also von einer nachzuholenden Sozialisation und nicht von „Resozialisierung" sprechen.         Roland Exner, Freiburg
 


Die Gedanken gründen sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse, Literaturbeispiele:  Tilman Moser: Jugenkriminalität und Gesellschaftsstruktur  // Alice Miller: Am Anfang war Erziehung

Die Erklärungen der Kriminalität sollen die Täter nicht "entschuldigen" - sondern nur die Ursachen erklären. Die Erkenntnisse KÖNNTEN allerdings genutzt werden, Kriminalität einzudämmen.
 


Badische Zeitung, kein Datum auf Zeitungsseite

Es dauert alles zu lange

Der nicht genannte Leser fragt: Wer zeichnet für diesen Rauschgiftkrieg verantwortlich? Die Fahnder des Bundeskriminalamts könnten die Antwort geben: Die Großhändler seien bekannt - es dauere nur zu lange, bis man ihnen etwas nachweisen könne. Diese, in der Tagespresse vom 10. August zu lesende Antwort eines BKA-Fahnders kann nicht befriedigen. Die breitere Öffentlichkeit t dürfte es interessieren, warum ausgerechnet die Rauschgiftbosse so unantastbar sind. Wer unter Mordverdacht steht, wird - wegen der Verdunklungsgefahr - zunächst in Haft genommen. Die Rauschgiftbosse können indessen den langen Weg des Beweisens noch mit unzähligen Opfern pflastern. Warum ist dies möglich? Man gewinnt doch den Eindruck, daß diesem Rechtssystem (mit seinen ansonsten unbestreitbaren Vorzügen) mehr die kleinen Rechtsbrecher ins Netz gehen; die Weiße-Kragen-Kriminellen und Schreibtischtäter bleiben aber weitgehend unbehelligt. Dieses Ungleichgewicht würde sich noch mehr zugunsten der Großkriminellen verlagern, wenn man (wie die Ärzte der Nervenklinik erwägen) zu allem Übel auch noch dazu überginge, Drogenopfer einzusperren.         Roland E x n er, Freiburg


Badische Zeitung /Freiburger Ausgabe vom 20. Januar 1977

Gerichtsbericht der Zeitung

Einer der tragischsten Unfälle des Jahres 1975

Krankheit der Mutter kein Grund für rücksichtsloses Fahrverhalten

Weil der Angeklagte „mit 80" durch Freiburg raste, mußte eine Frau sterben

Nach zwei Verhandlungstagen endete jetzt der Prozeß um einen der tragischsten tödlichen Verkehrsunfälle, zu dem es 1975 in Freiburg gekommen war. Mit einer fünfmonatigen Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, einer Geldbuße von 3000 Mark und einem zweimonatigen Fahrverbot belegten die drei Richter des Schöffengerichts einen Autofahrer, der am 30. Juli 1975 auf der Kreuzung Lehener Straße/Fehrenbachallee mit seinem Wagen eine 41 Jahre alte Radfahrerin erfaßt und getötet hatte.

Obwohl während der beiden Verhandlungstage vor dem Amtsgericht Freiburg eine Vielzahl von Zeugen gehört worden war, konnte auch nach Abschluß der Beweisaufnahme eine Reihe von wichtigen Fragen nicht endgültig beantwortet werden. Den Ausschlag für die Entscheidung der drei Richter gab vor allem die Aussage eines Sachverständigen, der bereits im Stadium der Vorermittlungen mit mehreren Gutachten versucht hatte, zur Aufhellung des Unfallherganges an jenem 30. Juli beizutragen.

Nach Auffassung des Schöffengerichtes bewies der Freiburger Sachverständige glaubwürdig und schlüssig, daß der tragische Unfall auf der Lehener Straße vor allem durch eine stark überhöhte Geschwindigkeit des Angeklagten, die zwischen 80 und 90 Stundenkilometern gelegen sein muß und durch ein Fehlverhalten bei einem Überholmanöver verursacht worden war. Der Gutachter wies nach, daß der Unglücksfahrer trotz einer Vollbremsung die 41jährige Radfahrerin mit einer Geschwindigkeit von 62 Kilometern in der Stunde erfaßt haben mußte.

Der Aufprall war so stark, daß die Frau vom Rad gerissen, mit dem 'Kopf durch die Windschutzscheibe des Wagens geschleudert und schließlich durch die Wucht des Zusammenstoßes mit den Beinen voran über das Dach des Fahrzeuges gepreßt worden war. Über 20 Meter schleifte der Wagen die Radfahrerin nach dem Zusammenstoß weiter.

Obwohl sie bereits wenige Minuten nach dem Unglück in eine Klinik eingeliefert werden konnte, war es nicht mehr möglich, das Leben der Frau zu retten.

Obwohl kein strafrechtlich entscheidenden Problem, standen vor allem die menschlichen und sozialen Hintergründe des tragischen Todes in der Lehener Straße immer wieder im Vordergrund des Prozesses. Die Familienmitglieder der Getöteten waren als Aussiedler nach jahrelangen Bemühungen wenige Monate vor dem Unglück nach Deutschland gekommen. Mit großen Anstrengungen hatte man begonnen, sich in Freiburg eine neue Existenz aufzubauen. Durch den Tod der Mutter seien der Ehemann und die beiden Kinder, so stellte es der Nebenklägervertreter dar, unerwartet in echte wirtschaftliche Not geraten. Als „geradezu schäbig" bezeichnete der Anwalt das Verhalten der Haftpflichtversicherung des Angeklagten, die bislang der Familie des Getöteten nur 1000 Mark überwiesen habe.

Der Verteidiger des angeklagten Kraftfahrers, dessen zahlreiche einschlägige Vorstrafen ihm in der Urteilsbegründung negativ angelastet wurden, hatte in seinem Plädoyer einen Freispruch für seinen Mandanten gefordert. Er sah eine Mitschuld der Radfahrerin für gegeben an. Scharf wehrte sich der Anwalt gegen den Vorwurf eines grob rücksichtslosen Verhaltens. Sein Mandant sei nur deshalb mit wesentlich überhöhter Geschwindigkeit gefahren, weil er durch einen Telefonanruf in die Klinik zu seiner todkranken Mutter gerufen worden sei. Staatsanwalt und Gericht bestritten in diesem Fall eine echte Notsituation, die eine grobe Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer durch überhöhte Geschwindigkeit und ein Fehlverhalten beim vorausgegangenen Überholmanöver gerechtfertigt hätten. Richter Royen ging in seiner Urteilsbegründunq davon aus, daß sich der Verkehrsunfall bei einem verkehrsgerechten Verhalten des Angeklagten nicht ereignet hätte. Gegen die Entscheidung der drei Richter legte der Verteidiger sofort im Anschluß an die Verkündung Rechtsmittel ein. ltn


Leserbrief hierzu – hat tatsächlich mit dazu geführt, dass die Versicherung gezahlt hat!

Badische Zeitung /Freiburger Ausgabe vom 9. Februar 1977

Autounfall - Fragen an die Versicherung

Betr.: Gerichtsberichterstattung vom 20. Januar 1977, S. 18: „Krankheit der Mutter kein Grund für rücksichtsloses Fahrverhalten"

In Ihrer Ausgabe vom 20. Januar 1977 berichten Sie über einen „der tragischsten Unfälle des Jahres 1975": Eine 41 Jahre alte Radfahrerin, Miternährerin einer Aussiedlerfarnilie, war von einem Autofahrer überfahren und tödlich verletzt worden. Die Schuld des Autofahrers steht, wie Sie schreiben, fest: Er fuhr im Stadtgebiet mit stark überhöhter Geschwindigkeit. Dieser Tatbestand ließ sich objektiv anhand der Bremsspuren usw. ermitteln. Sie berichten nun allerdings nicht, worin die vom Anwalt des Schädigers hervorgehobene „Mitschuld" der Radfahrerin bestehen konnte. Es handelt sich hierbei nämlich lediglich um eine konstruierte „Mitschuld", die daraus resultiert, daß die Aussagen der Augenzeugen unklar blieben und man somit - strafrechtlich - „im Zweifel für den Angeklagten" entscheiden müsse. Nun bleiben bei 80 oder 90 Stundenkilometern im Stadtgebiet nur noch geringe Spielräume für solche Zweifel: 0,5 oder zehn Prozent - im Extremfalle 25 Prozent (also mindestens 75 Prozent Schuldanteil für den Autofahrer). Mindestens 75 Prozent des entstandenen und des laufenden Schadens sollte die in den Schadensfall verwickelte Versicherungsgesellschaft also in Form von Abschlagszahlungen aufbringen; eine seriöse Versicherung würde dies jedenfalls tun. Dieses Verhalten wiegt um so schwerer, als es sich bei den Geschädigten um Aussiedler handelt und wir aufgerufen sind (Neujahrsrede des Bundespräsidenten) hier besondere Solidarität zu üben.                      Roland Exner, Freiburg


Badische Zeitung vom 6. November 1978

„Fälschungen" - Keine eindeutige Klärung

Zum Bericht „Unterschlagungen kommen eine Kassiererin teuer zu stehen" vom 24. Oktober, S.17 .

In Ihrem Gerichtsbericht schreiben Sie, ein Gutachter für Schriftvergleiche habe in zwei Instanzen die Auffassung gestützt, daß eine Kassiererin - zum Zwecke der Unterschlagung von größeren Geldbeträgen - Unterschriften abgepaust hat. Zunächst macht stutzig, daß sich zwei gerichtliche Instanzen auf einen Gutachter stützen. Hinzu kommt, daß diese „Stütze" der Gerichte als solche morsch ist. Kein Gutachter für Schriftvergleiche kann nämlich mit Sicherheit nachweisen, welche Person eine bestimmte Unterschrift abgepaust hat: Man lasse ein Dutzend Personen je fünf Unterschriften abpausen - der Gutachter möge die insgesamt 60 abgepausten Unterschriften den „Fälschern" zuordnen: Jeder Person soll also nachgewiesen werden, welche 5 „Fälschungen" von ihr stammen. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie der Gutachter bei dem Experiment zusammenschrumpfen würde; er könnte sich mit jenem Freiburger Astrologen die Hand reichen, der sich jüngst mit fadenscheinigen Argumenten aus einer (im Fernsehen geschlossenen) Wette zurückzog.

Mit dieser „Stütze" des Gerichtsurteils ist es also wahrlich nicht weit her. Aber auch andere Indizien, die zur Verurteilung der Kassiererin führten, erscheinen recht dünn: Die Fälschungen konnten „eigentlich" nur von der Kassiererin vorgenommen werden? „Eigentlich", oder „mit Sicherheit"? Immerhin taucht ja die Frage nach einem „anderen Täter“ auf - die eindeutige Klärung blieb wohl aber offen. Ein schlauer, skrupelloser Zweiter könnte sich ja gerade den Augenschein zunutze gemacht haben: daß nämlich „eigentlich nur" die Kassiererin als Täter in Frage kommt. Der BZ-Berichterstatter möge doch einmal nachempfinden, was wirklich „beklemmend" war: die Frau; die „nur mit halber, belegter Stimme, eher verzagt als entschieden" sprach - weil sie log? oder weil sie sich überrollt und zerstört fühlte?                 Roland E x n e r, Freiburg


Badische Zeitung / Freiburger Ausgabe, 28. April 1977

Unfälle - Die „Mitschuldigen"

Zur Gerichtsberichterstattung (S. 20) vom 21.4. 1977: „So kam ein junger Mopedfahrer ums Leben"

Sie berichten wieder einmal von einem jener Fälle, bei dem ein Zweiradfahrer ums Leben kam, weil ein Autofahrer mit über 80 km/h durch Freiburgs Straßen raste. Eine Mitschuld des tödlich Verunglückten sei nach Ansicht des Gerichts allerdings gegeben: Der Mopedfahrer hätte den Gegenverkehr (hier also den Unglücksfahrer) nicht genügend beachtet. Ein solches Urteil ist meines Erachtens ein halber Freifahrschein für den Sensenmann auf der Straße. Die Schnell-Fahrer im Stadtgebiet sind doch bekanntlich deswegen so gefährlich, weil sie es den anderen Verkehrsteilnehmern unmöglich machen, Entfernungen nach den gewohnten Maßstäben einzuschätzen - einem anderen Verkehrsteilnehmer mithin keine „Mitschuld" zugesprochen ' werden dürfte, weil er angeblich „unaufmerksam" gewesen sei. Die „Zweifel", die hier dem Schädiger - bzw. seiner Haftpflichtversicherung (!) - im wahrsten Sinne des Wortes „gutgeschrieben" werden, gehören also wohl eher auf das Konto des Geschädigten. Vielleicht sollten sich die zuständigen Richter einmal einem Experiment aussetzen: Vor Autos in bestimmtem Abstand (z. B. 30 Meter), möglichst an unübersichtlicher Stelle, über die Straße zu laufen. Die meisten Autos sollten 40 bis 50 km/h fahren - einige aber auch (ohne Vorwarnung) 80 bis 150 km/h. Nach einer solchen „Schulung" würden die Richter vermutlich anders urteilen.                 Roland Exner, Freiburg


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Badische Zeitung vom 3. April 1981

Stacheldraht-Prozeß - Es bleibt ein Unbehagen

Zu der Verurteilung eines Medizinstudenten im sogenannten Freiburger Stacheldrahtprozeß versucht ein Leser, Hintergründe aufzuzeigen, die aus seiner Sicht zur Beurteilung des Studenten notwendig sind.

„Gegen dieses Urteil (ein Jahr und acht Monate Gefängnis) wird man nicht viel einwenden können: Zweifellos muß der Medizinstudent eine Schuld daran tragen, daß sechs Menschen zum Teil schwer verletzt wurden. Aber es bleibt noch ein Unbehagen zurück. Gerade in diesem Falle wird nämlich besonders deutlich, daß der Täter nicht in einem luftleeren Raume handelt, sondern in einer Wechselbeziehung zu seiner Umgebung steht.

Einige Zeit vor diesem dramatischen Stacheldrahtunfall hat der nun verurteilte Medizinstudent im Zusammenhang mit seinem Einsatz für den Umweltschutz schon eine Strafe auf Bewährung erhalten. Das Gericht urteilte damals über die Persönlichkeit des Angeklagten positiv und entsprechend günstig fiel auch die Prognose aus (das heißt, das Gericht ging davon aus, dass der Student nicht mehr straffällig werden würde). Das Gericht hielt es aber in diesem Zusammenhang für wichtig, daß der Student seine Ausbildung beenden und das Medizin-Examen ablegen könne. Die Stuttgarter Beamten-Bürokratie wußte es dann vom grünen Tisch aus besser: Wegen der ,Vorstrafe` ließ man den Studenten nicht zum Examen zu. Daß die Vorstrafe nur vorgeschoben, eigentlich aber das politische Engagement im Wege war, liegt auf der Hand. Die Verweigerung der Prüfung war zweifellos ein selbstherrlicher Willkürakt, zumal sie gegen den Willen eines Gerichtes erfolgt ist. Die Zerstörung der beruflichen Existenz auf solche Weise führt aber auch zu seelischen Zerstörungen - und die verbeamteten Bürokraten wissen dies nur allzugut. Man setze jemand, der in diesen Machtapparat nicht paßt, erst einmal die Daumenschrauben an; er wird dann schon irgendwie um sich schlagen. In diesem Sinne hat der Medizinstudent das Spiel verloren. Aber die eigentlich Schuldigen saßen nicht auf der Anklagebank.             Roland E x n e r, Freiburg


Süddeutsche

Wahnsinn und heile Welt

„Eine Stadt - starr vor Angst" / SZ vom 20. Februar (2001? Nach einem Amoklauf in einer Schule)

Eine „Wahnsinnstat": Seltsam, dass solcher Wahnsinn immer nur im Kopf des Täters lokalisiert wird. Aber haben Wahnsinnstaten nicht auch ein bisschen was mit einem wahnsinnigen Umfeld zu tun? Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, häufen sich solche mörderischen Amokläufe in Bayern - was ja Zufall sein kann, aber auch Anlass, ein paar Gedanken zu formulieren, die sich da einfach aufdrängen.

Die bayerischen Politiker stellen sich gern als Macher einer heilen Welt dar, als Weltenheiler und Gesundbeter, als große Vorbilder. Die Fahne des Fortschritts wird triumphierend hoch gehalten, gleichzeitig wird aber im Lande eine mittelalterlich anmutende Götzenverehrung gepflegt, die dann auch noch zum Gesetz erhoben wird, wobei man Kruzifix-Kritiker am liebsten auch als geistesgestört erklären möchte.

Da macht man sich schon seine Gedanken: Wo der Irrsinn in Wirklichkeit versteckt sein könnte. Manchmal kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die mittelalterlichen Dämone den Fortschritt auf die Fahne schreiben, um dann um so hemmungsloser wüten zu können. Zwischen Fortschritt und mittelalterlichen Riten liegen Welten, und die werden mit Intrigen und großmäuliger Selbstverherrlichung überbrückt. Gerade dort, wo die heile Welt am lautesten verkündet wird, scheint die Blindheit für die realen Probleme am größten zu sein. Roland Exner, Röntgental


Süddeutsche vom 22. Januar 2002

Seltsame Meinungsänderung

Freispruch für Hamburgs Innensenator Schill / SZ vom 22./23. Dezember

Es ist schon merkwürdig, wenn eine Staatsanwaltschaft einen Prozess durch zwei Instanzen führt und anschließend Freispruch fordert, obwohl es in der ersten Instanz zu einer Verurteilung gekommen ist. Jeder Jurist weiß, wie unwahrscheinlich es ist, freigesprochen zu werden, wenn man erst einmal auf der Anklagebank sitzt. In meiner juristischen Ausbildung bei der Staatsanwaltschaft habe ich gelernt, dass man nur angeklagt wird, wenn sich die Staatsanwaltschaft sicher ist, dass es zur Verurteilung kommt. Zum seltenen Antrag auf Freispruch kommt es nur, wenn sich neue Tatsachen zugunsten des Angeklagten ergeben. Aber neue Tatsachen konnten sich im Revisionsverfahren beim Bundesgerichtshof gar nicht ergeben. Sie werden in einem Revisionsverfahren nämlich gar nicht ermittelt. Es bleibt die Frage offen, warum die Staatsanwaltschaft auf einmal ihre Rechtsmeinung ändert. Wenn ein Richter die drakonische Ordnungshaft von drei Tagen Dauer verhängt und dann die Beschwerde nicht weiterleitet, fällt es mir doch sehr schwer, an ein Versehen zu glauben.                 Roy Alan Hardin, Köln


Wie immer wurde „im Namen des Volkes" Recht gesprochen, und wie immer wurde - trotz der Rügen, die Roland Schill vom Gericht hinnehmen musste - dem Volk mit diesem Urteil eine Pappnase aufgesetzt. Schill habe zwar objektiv das Recht gebeugt, eine Absicht habe ihm aber nicht nachgewiesen werden können, meldet Reymer Klüver. Freispruch. Da ich irgendwie auch zum Volk gehöre, sage mir doch bitte einmal einer, in welchem Gesetz (nicht: Kommentar) - also in welchem Gesetz die Rechtsbeugung erst durch den Nachweis der Absicht strafbar wird. In Paragraf 336 Strafgesetzbuch jedenfalls steht davon nichts.         Roland Exner, Röntgental


Justiz - das Unbehagen

Zunächst der stark gekürzte Auszug aus einem Artikel der ZEIT, Nr. 28 2001, dann mein Leserbrief dazu:

DIE ZEIT Nr. 28 2001

J U S T I Z

Wer klagt an?

Bananenrepublik Deutschland: Die Justiz schaut weg

von Martin Klingst

Ein neues Einwanderungsgesetz könnte es möglich machen: Green Cards für die Bertossas, DiPietros, Garzóns, Jolys und Colombos dieser Welt. Für unerschrockene Staatsanwälte und Untersuchungsrichter wie in der Schweiz, Italien, Spanien oder Frankreich, die nicht Minister, nicht Präsidenten fürchten, sondern sich dem Gesetz verpflichtet fühlen. Die nur das eine antreibt: die Wahrheit herauszufinden über zweifelhafte Waffenverkäufe, über Immobilienschiebereien und über dunkle Raffineriegeschäfte, über Datenvernichtung und Aktendiebstahl. Strafverfolger mit diesen Qualitäten gibt es in Deutschland nicht.

Es geht um Ehre und Glaubwürdigkeit unserer Justiz. Es geht um die Aufklärung eines schwerwiegenden Verdachts. Es geht darum, ob deutsche Politiker und Beamte bei der Privatisierung der ostdeutschen Raffinerie Leuna vom Käufer, Frankreichs halbstaatlichem Ölkonzern Elf Aquitaine, bestochen worden sind. Und darum, ob wichtige elektronische Daten und Akten zu diesem Geschäft im Kanzleramt von Helmut Kohl 1998 in letzter Minute absichtlich vernichtet oder beiseite geschafft wurden. Gerade jene Dokumente, die den Verdacht der Bestechlichkeit und der Vorteilsannahme hoher Repräsentanten des Staates erhärten - oder widerlegen könnten.

Der Fall Leuna wird zum Prüfstein des Rechtsstaats. Verzweifelt hat der Genfer Generalstaatsanwalt Bernard Bertossa versucht, deutsche Staatsanwälte auf die deutsche Spur von Schmiergeldzahlungen zu setzen; er scheiterte jedes Mal: an Unwillen, an Desinteresse oder an Unvermögen. Jetzt wird sogar klar, dass auch die gegenwärtige Bundesregierung die Ermittlungen nicht befördert. Obendrein öffnet sich ein Fenster in die Unterwelt der Politik: Beim Leuna-Geschäft hatten französische und deutsche Geheimdienstler die Hände im Spiel... (stark gekürzt)

Leserbrief zum Artikel: Wer klagt an?

(Datum kann nicht mehr angegeben werden; etwa gleich lautend aber in der Süddeutschen vom 8. August 2001)

Glückwunsch zu ihrem Artikel samt Dossier. Aber auch Widerspruch: Wenn der Fall Leuna zum Prüfstein des Rechtsstaates erhoben wird, so folgt daraus, dass alles bereinigt sei, wenn der Fall gelöst ist. Das wäre aber keineswegs der Fall, denn alles, was unter dieser im öffentlichen Licht stehenden, dem öffentlichen Druck ausgesetzten Ebene passiert, läuft weiter. Leuna ist - vielleicht - nur die größte Pestbeule im System.

Als ich so etwa 1982 begann, Gerichtsberichte zu schreiben (Kürzel Rex im Coburger Raum), erlebte ich Gerichtsverhandlungen als karikative Zuspitzungen des gesellschaftlichen Lebens, insbesondere bei den scheinbar kleinen Fällen. Überall tappt der Bürger in Schlingpflanzen, die in Gestalt von §§ herumstehen. Er stolpert, fällt auf die Nase - lustig anzuschauen für den Zuschauer. Charlie-Chaplin-ähnliche Geschichten. Nach und nach schlich sich Unbehagen ein. Im Kopf lief es wohl so ähnlich ab wie bei manchen Fernsehsendern: Am unteren Rand der Bilder laufen zwei Infobänder. Bei mir waren in dem einen Band die vielen Gerichtsverfahren, in dem anderen alles andere, was man sonst so sieht und hört. Und irgendwann liefen die beiden Bänder nicht mehr getrennt voneinander. Gerichtsverfahren erschienen plötzlich als Theaterveranstaltungen, mit festverteilten Rollen und Riten, die einem Zweck dienen: Die Illusion einer Rechtsordnung zu erzeugen, um hinter dieser Fassade den Parteifreunden und allen, die sonst noch dazugehören, ungestörte Spielfelder für Intrigen und Geschäfte zu überlassen. Die eingespielten Rollen und Riten bewirken, dass alles wie geschmiert läuft, dass in vielen Fällen noch nicht einmal ein Schuldbewußtsein entsteht, zumal es auch hinreichend Druckmittel vor Eröffnung eines Verfahrens gibt. Die dritte Stufe der durch Fakten untermauerten Empfindung war, dass die Justiz nicht unbewußt ihr gesellschaftliches Rollenspiel lebt, sondern aktiv und bewußt in krimineller Weise manipuliert. Hierzu gehört auch die "untertänige Justiz", denn es spielt keine Rolle, aus welchem Grunde das Recht gebeugt wird. Beispiele? Eines will ich herausgreifen, und zwar deswegen, weil hier die hemmungslose Manipulation allein aus dem mir vorliegenden Aktenteil nachweisbar ist. Ein CSU-Stadtrat aus Staffelstein/Franken soll einen 14jährigen Nachbarsjungen vom Fahrrad gestoßen haben. Ärztlich festgestellte Verletzungen des Jungen: Hautabschürfungen, Prellungen, Gehirnerschütterung. Unter dem Aktenzeichen... stellte Staatsanwalt Roth aus Coburg das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung ein. Unter anderem, weil die Zeugin W. ausgesagt hatte, sie habe den Vorfall aus dem Fenster beobachtet: Der Stadtrat habe den Jungen nur am Arm festgehalten. Auf den Einwand der Mutter des verletzten Jungen, Frau W. habe von ihrem Fenster den Vorfall gar nicht beobachten können, erklärte ein Polizeibeamter: "Wenn es nicht ihr Fenster war, dann war es eben ein anderes."

Die Staatsanwälte von Coburg haben den Stadtrat dann mit Verleumdungsverfahren geschützt. Zeugen wurden nicht zugelassen, schon gar nicht die erwähnte Zeugin W. Soweit der Alltag, stellvertretend für die unzähligen Rechtsbeugungen. Was Leuna und die ganze schmierige Umgebung betrifft: Machen Sie weiter, bis zum Erfolg. Aber die alltägliche Schikane der Bürger wird bleiben. Ich persönlich glaube bei Gerichtsverfahren nichts mehr, was da geboten wird. Selbst nicht bei großen Verfahren im Lichte der Öffentlichkeit. Stichwort Vera Brühne. Taucht da nicht irgendwo der Name Franz Josef Strauß auf? Ich meine nicht die Begnadigung, sondern im Opfer-Beziehungsgeflecht? Stand da vielleicht was in den Stasi-Strauß-Akten, die das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz vernichtet hat? Berichte über Geldgeschäfte, Polit-Intrigen und das Privatleben... Strauß und Kohl sind Stasi-Opfer - aber offenbar solche, die von der Stasi erpressbar waren. Täter also. Ausgerechnet Strauß hat ja der DDR einen Riesenkredit verschafft, zu einer Zeit, als die schon aus dem letzten Loch pfiffen. Hoffnung auf ein verlässliches Rechtssystem, Land in Sicht, - wann könnte man das rufen? Sonderankläger wie in Italien? Erst einmal müsste der §336 (Rechtsbeugung) Zähne bekommen. Klare, objektive Kriterien müssten als Rechtsbeugung definiert werden und überall in Europa einklagbar sein. Und was Leuna betrifft: Der Genfer Generalstaatsanwalt Bertossa müsste die deutschen Staatsanwälte wegen Rechtsbeugung anklagen können.

Mit freundlichen Grüßen Roland Exner

Zur Ergänzung des Leserbriefs noch ein "fremder" Zeitungsartikel:

Neue Presse Coburg vom 8. Mai 1995, Seite 10 ZEITUNGSTREFF

Streit unter Nachbarn oder Haß auf Kinder?

Ein ganz alltäglicher, aber typischer Fall aus einer oberfränkischen Kleinstadt

Von Christina Wildner und Diana Wünsche, Berufsschule II Coburg

Coburg. Weil Familie W., die in einer oberfränkischen Kleinstadt lebt, sieben Kinder hat, wird sie vom Nachbarn, einem Stadtrat und Lehrer, seit Jahren schikaniert.

Die Auseinandersetzung ist seit fast drei Jahren ,,amtsbekannt". Weil der Stadtrat Parteifreunde in demselben Gremium, bei der Polizei und in der Justiz hat, kann die Familie gegen die Attacken des Nachbarn nichts ausrichten. Amtlich wird alles unter der Bezeichnung ,,Nachbarschaftsstreit" geführt, wodurch der Nachbar einen Freibrief für sein Handeln erhielt.

Dieser sogenannte Nachbarschaftsstreit begann, als die kinderreiche Familie in dem Haus nebenan eingezogen war und zwei der kleinen Kinder versehentlich das Grundstück des Stadtrates betreten hatten. Dieser beschwerte sich postwendend und betonte, daß er dafür sorgen werde, daß die Familie wieder ausziehen müsse und daß er in jedem Fall den längeren Arm habe.

Familie W. errichtete daraufhin einen kleinen Zaun um das Grundstück, um die beiden Kleinsten am Betreten des Nachbargeländes zu hindern.

Nun konnte der Nachbar jedoch auf dem Grundstück der Familie nicht mehr wie gewohnt Fahrräder und dergleichen abstellen. Deshalb traktierte er nun die Familie mit einer Strafanzeige wegen Nötigung. Seitdem versucht er auch den Vermieter des Hauses, in dem Familie W. mit ihren sieben Kindern wohnt, zu veranlassen, die W's. auf die Straße zu setzen. Bisher ohne Erfolg. Die Familie sucht inzwischen ein neues Zuhause, denn es will keine Ruhe einkehren: Der Stadtrat und Lehrer rempelt die Kinder an, wo immer er kann und beschuldigt sie umgekehrt, ihn angerempelt zu haben.

Er stieß den l4jährigen Sohn vom Fahrrad und verprügelte ihn (der Junge trug eine Gehirnerschütterung und zahlreiche Prellungen davon). Ein anderes mal fuhr er im Beisein der Mutter den neunjährigen Sohn mit dem Auto absichtlich an. Die entsprechenden Strafanzeigen verliefen jedoch im Sand.

Eine Reihe von Zufällen verhalf dazu: In der Polizeidienststelle war kein Film in der Sofortbildkamera, um den blauen Fleck am Oberschenkel des Kindes festzuhalten. Eine entsprechende Messung wurde erst drei Wochen nach dem Vorfall nachgeholt, um die Höhe der Verletzung mit der Höhe der Stoßstange zu vergleichen. Der blaue Fleck war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu sehen. Einem Augenzeugen des Vorfalls wurde verweigert, die Niederschrift seiner Aussage durchzulesen und zu unterschreiben. Das Ergebnis: Die im Einstellungsschreiben der Staatsanwaltschaft aufgeführte Aussage stimmte nicht mit der tatsächlichen Aussage des Zeugen überein und die Höhe der Stoßstange mit der gemessenen Höhe des blauen Fleckes auch nicht, da der Polizeibeamte die Höhe des blauen Fleckes ja nur noch nach seinen Erinnerungen festlegen konnte.

Die Schikanen gehen weiter, doch nichts geschieht. Der örtliche Polizeichef sitzt ebenfalls im Stadtrat und gehört derselben Fraktion an.

Als Familie W. nun vor kurzem anläßlich ihres siebten Kindes eine Ehrenurkunde und ein Ehrenpatengeschenk vom Bundespräsidenten, überreicht von einem Vertreter der Stadt, entgegennehmen durfte, hatten die Eltern dabei sehr gemischte Gefühle. Einerseits veranlaßt unser Staatsoberhaupt die Ehrung der Familie durch die Stadt, andererseits versucht ein Stadtrat eben dieser Kommune, diese Familie unter Druck zu setzen.


 

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Badische Zeitung/Freiburger Ausgabe vom 28. August 1979

Wirre Gleichsetzung

Zum Leserbrief zum Thema »Paragraph 218"

In ihren Leserbriefen vom 22. August stellen Frau Gotthardt und Frau Erschig die bekannten groben Klötze auf: Sie nennen Abtreibungen „skrupellose Tötung" und „Mord". Bei solcher „Argumentation" kann das Für und Wider eines Einzelfalles gar nicht mehr berücksichtigt werden. Man tritt erneut unter dem Banner „Kampf für das Embryo" an, ohne Rücksicht auf das existierende Leben - die betroffenen jungen Frauen - zu nehmen. Daß Frauen durch ungewollte Kinder bei den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen in große Not geraten können, ist ja wohl unbestritten. Sollen nun wieder Verbote und Strafen eingeführt werden? Die Engelmacher in den Hinterhöfen wieder mit lebensgefährlichen Eingriffen Geschäfte machen? (Während die wohlhabenden Frauen im Ausland abtreiben können.) Sollen erneut mehr Kinder unter ungünstigen sozialen Bedingungen aufwachsen? Wenn man schon vom Recht der Kinder auf Liebe spricht, sollte man doch erst mal gucken, dies für die Geborenen sicherzustellen - und nicht auf Teufel komm raus zu gebären. Die wohl (w)irre Gleichsetzung von Abtreibung und Judenmord erinnert mich auch irgendwie an die ebenso (w)irre Behauptung der Extrem-Linken, dieser Staat sei „faschistisch". Den Extremen fehlt das Augenmaß. Das Mordgeflüster jedenfalls ist Infamie - der Versuch, Menschen mit anderer ethischer Gesinnung im wahrsten Sinne des Wortes unter der Gürtellinie zu treffen. Roland Exner, Freiburg


FAZ vom 26. Februar 1979

Computer und Babys

Zu „Der Geburtenschwund gefährdet das Rentensystem" (F.A.Z. vom 4. Februar):

Schon seit längerer Zeit geistert der Geburtenschwund als Schreckgespenst durch den Zeitungsblätterwald: das Rentensystem sei gefährdet. Für das Jahr 2030 wird ein Beitragssatz von 35,5 Prozent an die Wand gemalt. Nun bleibt ein Gespenst ein Gespenst - auch wenn es von Computern hochgerechnet wird. Schon wenige Überlegungen zeigen nämlich, daß wir ohne große Renten-Angst in die Zukunft schauen können: Wir beklagen einerseits die Rationalisierung, die in zunehmendem Maße Arbeitsplätze vernichtet; und wir beklagen die (zunehmend) sichtbaren Grenzen des Wachstums (Zerstörungen der Umwelt). Wir beklagen andererseits den Geburtenschwund - ohne zu erkennen, daß gerade hierdurch Rationalisierung und Pro-Kopf Wachstum aufrechterhalten werden können. Rationalisierung bedeutet; daß immer weniger Arbeitskräfte ein gleich hohes oder gar höheres Niveau an Gütern produzieren können. Mit zunehmender Anzahl der älteren Mitbürger werden die „Arbeitslosen" dann aber nicht Erwerbsfähige, sondern Rentner sein. Das heißt: Der Geburtenschwund ist eine ganz natürliche Reaktion auf bestimmte Probleme unserer Zeit - zum Beispiel die Rationalisierung. Das generative Verhalten der Bürger erscheint somit „klüger" als alle Computer. Auch das Spannungsverhältnis zwischen Wachstum und Umweltschutz würde gemildert: Das Pro-Kopf-Einkommen kann weiter steigen, während das Bruttosozialprodukt stagniert oder gar zurückgeht (und somit die Belastungen für die Umwelt sinken). Fazit: Es sollte niemand mit schlechtem generativen Gewissen herumlaufen.                 Roland Exner, Freiburg